Interview-Zitate

Zu einer Beurteilung der größten Gefahren für die Menschheit kamen wir durch Interviews mit den drei Wissenschaftlern Harry Lehmann, Prof. Gerhard Scherhorn und Prof. Peter Hennicke vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Sie finden hier eine wortgetreue Wiedergabe der Interviews zu den Themen...
 

  1. Klima-Veränderung
  2. Bevölkerungsexplosion
  3. Artensterben
  4. Kriege
  5. Verkehrschaos
  6. Gentechnik
  7. Wassermangel und -verschmutzung
  8. Schadstoffe
  9. Energie- und Rohstoffverknappung
10. Werteverlust
11. Persönliche Einschätzung
 
 

1. Cronenberger Ranger: »Der zusätzliche Treibhauseffekt wird zu einer Klima-Katastrophe führen!«

    LEHMANN: »Trotz hochbezahlter Forschungsaufträge, die das Gegenteil beweisen sollten, kommen alle Untersuchungen immer wieder zu demselben Ergebnis: Es wird deutlich wärmer werden. Das Erschreckende ist, dass aus diesen Erkenntnissen bisher so wenig Folgen hergeleitet wurden. Aber auf der anderen Seite muss man auch Mut schöpfen, denn wir kennen das Problem erst seit Ende der siebziger Jahre und haben es bis heute schon geschafft, einen weltweiten Prozess in Gang zu setzen, der erstens zu einer deutlichen Problemwahrnehmung und zweitens zu einer weltweit vereinheitlichten wissenschaftlichen Betrachtungsweise geführt hat. Jetzt ist der zäheste Bereich das Problem der politischen Umsetzung. Wenn hier innerhalb der nächsten 40 bis 50 Jahre keine Fortschritte gemacht werden, dann werden die Folgen der Klimaveränderung - Bevölkerungsbewegungen, Veränderungen der Nahrungsmittelproduktion und der Trinkwasserversorgung - für die ganze Erde kaum noch abwägbar sein. Die ersten Auswirkungen sind bereits erkennbar und irgendwann im Zeitraum von 50 bis 150 Jahren hätten wir eine weltweite Katastrophe.« Cronenberger Ranger: »Sind denn die Kenntnisse über das System Klima wirklich umfassend, so dass Abschätzungen über Folgen überhaupt möglich sind?« Harry Lehmann: »Ja, es gibt kein System, das so gut erforscht ist wie das Klimasystem, und in dessen Erforschung soviel Geld gesteckt wurde. Dies führte zu weltweit deutlich übereinstimmenden Vorhersagen, die eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit zulassen, auch wenn einige Faktoren im Einzelnen noch nicht bekannt sind. Eine Sicherheit gibt es natürlich nie, denken Sie nur an die Ergebnisse der Chaosforschung*. Das Problem liegt vielmehr in der Freiheit der Entscheidungsträger, die die Auswirkungen der Klimaveränderungen ja noch nicht am eigenen Leib spüren... Auch wenn die Wahrscheinlichkeit nur 40 % wäre, muss etwas dagegen getan werden!«

    HENNICKE: »Wenn wir die Dinge weiter schleifen lassen, stimmt die Aussage im Trend. Wir gehen davon aus, dass die CO2-Emissionen, sich unter Trendbedingungen noch verdoppeln werden. Doch der Trend ist änderbar! Deswegen sind wir am Wuppertal-Institut davon überzeugt, dass es nicht zur Katastrophe kommen muss, vorausgesetzt, wir tun alles, was möglich ist; beim sparsameren Umgang mit Energie, beim schnellen Aufbau der Solarenergie, bei der nachhaltigeren und klimaunschädlicheren Nutzung der fossilen Energieträger. Für all dies gibt es Techniken und Maßnahmen - man muss sie nur umsetzen. Wir haben eine riesige Umsetzungslücke. Deswegen ist es so wichtig, dass auch junge Menschen hier aktiv werden.«

   SCHERHORN: »Das ist bestimmt richtig, auch wenn manche das immer noch bestreiten. Man weiß zum Beispiel, dass die Stürme (z.B. die Hurricans in Amerika) immer heftiger werden, je wärmer das Ozeanwasser wird. Da besteht eine unmittelbare Verbindung. Das wissen inzwischen auch die Versicherungen, so dass Häuser in sturmgefährdeten Gebieten immer schwieriger zu versichern sein werden. Auf diese Weise hoffe ich, dass die Leute beginnen werden, etwas dagegen zu tun, denn die Versicherungen haben sehr viel Macht. Das ist natürlich nur ein Aspekt des Treibhauseffektes. Es gibt noch zahlreiche andere. Es hat keinen Sinn zu sagen, es betrifft uns ja nicht. Es betrifft uns! Vor allem, weil zum Beispiel der Golfstrom wegfallen könnte und es dadurch im Norden wesentlich kälter werden würde. Es muss dringend etwas dagegen geschehen!«

(zurück zum Anfang)
 

2. Cronenberger Ranger: »Die Erde wird bei dem momentanen Bevölkerungswachstum schon bald nicht mehr in der Lage sein, die Stabilität des gesamten Systems zu gewährleisten!«

    LEHMANN: »Das ist sicherlich der Fall, hängt jedoch nicht von der Zahl der Menschen ab, sondern davon, wie die Menschen mit der Erde umgehen. Wenn man sich die jetzigen Rohstoff- und Energieverbräuche in den Industrieländern - und gerade die sind ein Maß für den Einfluss menschlicher Aktivitäten auf das System Erde - anschaut, dann sind diese Verbräuche nicht auf alle Bewohner der Erde hochzurechnen, ohne einen kompletten Zusammenbruch der irdischen Lebenswelt zu verursachen. Dazu bräuchten wir noch fünf, sechs weitere Welten, die wir natürlich nicht haben. Allerdings ist auch das nicht unbedingt so, denn vor einigen Jahren wurde an unserem Institut die These aufgestellt, dass mit einer drastischen Erhöhung der Ressourcenproduktivität um mindestens einen Faktor 10 - also dem Einsatz von weniger Rohstoffen und Energie für die gleiche Funktion der Endprodukte - ein Verbrauch erreicht werden kann, der auch zehn Milliarden Menschen das Leben auf der Erde mit einem annehmbaren Lebensstandard ermöglichen könnte. Diese These wird durch vielerlei praxisnahe Untersuchungen gestützt. Wir müssen es nur einfach umsetzen! Doch die Anfänge sind gemacht und wenn ich mir die Entwicklung in den letzten zwanzig Jahren anschaue, dann macht mir das Mut und sollte auch Ihnen Mut machen!

   HENNICKE: »Im Trend stimmt die Aussage. Wenn drei Viertel der Menschheit - die in den Entwicklungsländern lebt - unseren Lebensstil nachahmen würden, bräuchten wir fünf Erdbälle! Wenn es aber gelingt, die Steigerung des Lebensstandards gerade in den Entwicklungsländern von Ressourcen-, Energie- und Flächenverbrauch zu entkoppeln, dann ist es möglich, die Weltbevölkerung mit konstantem Energieverbrauch zu befriedigen. Wir müssen praktisch den Nutzen der Energie - die Dienstleistungen wie Wärme, Kühle u.s.w. - entkoppeln vom Energieverbrauch, der hineingesteckt wird. Das gleiche gilt auch für andere Rohstoffe: Wir sprechen dabei von einer De-Materialisierung.« Cronenberger Ranger: »Könnte denn ein Platzmangel auf der Erde entstehen?« HENNICKE: »Das glaube ich nicht. Zum Beispiel die Bevölkerungsdichte von China ist heute schon sehr hoch und dennoch gibt es in diesem Flächenland noch völlig unbesiedelte Regionen. Der Platz auf der Erde reicht auch bei einer Verdopplung der Weltbevölkerung aus, ohne gravierende zusätzliche Naturschäden zu verursachen - bei entsprechend energie- und flächensparendem Umgang mit der Natur! Im Grunde genommen sind ja auch viele Menschen etwas Positives. Sie sind eine schöpferische Produktivkraft; je mehr da sind, desto mehr Ideen, desto mehr Vielfalt, desto mehr Innovationen sind machbar. Man muss neben einer Begrenzung des Bevölkerungswachstums die Randbedingungen schaffen, dass die Menschen, die neu hinzukommen, nicht auf die Idee kommen, ausgerechnet unseren Lebensstil nachzuahmen. Wenn wir ihnen das jedoch weiter vorleben, dann kommt es in der Tat zu einer Katastrophe.«

    SCHERHORN: »Diese Frage kann ich nicht genau beantworten, weil ich davon zu wenig verstehe. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die Bevölkerungszunahme abnimmt. Jetzt haben wir rund sechs Milliarden Menschen und es werden sicher auch sieben Milliarden werden, aber die Wachstumskurve nimmt ab. Man kann also heute schon absehen, das irgendwann die Bevölkerungszahl gleich bleiben wird. Wann das genau sein wird, das kann man nicht sagen. Acht Milliarden Menschen könnten ernährt werden, wenn die Zerstörung der landwirtschaftlichen Flächen aufhört. Das ist die große Frage. Zur Zeit geht Jahr für Jahr weltweit ein riesiges Gebiet an landwirtschaftlicher Fläche durch Erosion verloren und wenn das nicht gestoppt wird, dann wäre diese Behauptung richtig. Aber es kann gestoppt werden!«

(zurück zum Anfang)
 

3. Cronenberger Ranger: »Das heute stattfindende Artensterben - das 40 bis 400 mal schneller ist als normal - ist schon zu weit fortgeschritten, um dramatische Folgen noch zu verhindern!«

    LEHMANN: »Das ist vordergründig richtig, jedoch nicht in einer pessimistischen Form. Es hat heftige Einschnitte in die Artenvielfalt und -zusammensetzung in den letzten Jahrmillionen gegeben. Auch das durch den Menschen verursachte Artensterben wird von der Natur in irgendeiner Art und Weise aufgefangen werden. Im ungünstigsten Fall wäre das die Ausmusterung des Verursachers - also des Menschen -, was wir nicht hoffen wollen! Im günstigsten Fall wird die Erde zu einem neuen Gleichgewicht finden zwischen den Arten, die sie zum Überleben braucht. Brauchen ist hier natürlich nicht anthropozentrisch* gemeint, denn auch die Mücke hat in ihrer unangenehmen Art selbstverständlich ihren Wert und ihre Bedeutung als Art. Hier müssen wir noch so manches in Ordnung bringen. In Europa beispielsweise müssten mindestens 10 % der Fläche vollkommen der Natur überlassen werden; ungestört durch alle Menschen. Anders wird Evolution nicht weiter stattfinden können!«

    HENNICKE: »Das ist vielleicht das Feld, das am meisten Sorge macht. Es ist in der Tat so, dass die Netto-Artenauslöschung im Moment bei einer Größenordnung von 40 Arten pro Tag liegt. Wenn ich netto sage, dann meine ich, dass ja durchaus auch neue Arten in der Evolution entstehen. Daher müssen wir schnell besser mit dem Flächenverbrauch haushalten! Man muss den gesamten Ressourcenverbrauch - und das betrifft Energie, Boden, Sand, Wasser u.s.w - und alle stattfindenden Landänderungen - beispielsweise durch Bergbau oder eine ökologisch nicht angepasste Landwirtschaft - sehr viel genauer in Relation zu dem Nutzen setzen, den wir daraus haben. Dann stellt man fest, das man eine Reduktion dieses riesigen Stoffstromes um den Faktor 10 erreichen kann. Das ist die wesentliche Randbedingung: Man hat den gleichen Nutzen aus den Produkten, aber sehr viel weniger Flächen- und Naturverbrauch, so dass das Artensterben gebremst werden kann. Ob es wirklich eines Tages so reduziert wird, dass wir gar keine Artenauslöschung mehr haben, da bin ich skeptisch. Das ist eine der größten Herausforderungen, vor denen wir stehen.«

    SCHERHORN: »Das glaube ich nicht. Es ist ein Jammer um die vielen Arten, die schon vernichtet sind, aber dramatische Konsequenzen können immer noch verhindert werden, wenn sehr bald damit aufgehört wird, den Rest der Wälder zu vernichten. Man darf nicht vergessen, dass sich die Arten, die bedroht sind, auch wieder erholen werden. Das Problem ist, dass jetzt zu viele Arten aussterben. Warum ist die Artenvielfalt überhaupt wichtig? Sie ist es deshalb, damit die Evolution weitergehen kann. Wenn wir bei spielsweise nur eine Kartoffelsorte oder eine Weizensorte hätten, dann wären sie so anfällig gegen alles mögliche, das wir uns nicht allein darauf verlassen könnten. Es muss viele Sorten geben, damit man wechseln kann, damit man sie auch weiterentwickeln kann. Das gilt auch für Arzneimittel. Wenn es nur noch ganz wenige Pflanzen gäbe, aus denen man Arzneimittel gewinnen könnte, dann wäre das ein großes Problem. Wir könnten auf Dauer nicht damit leben und die Natur könnte sich nicht mehr weiterentwickeln.«

(zurück zum Anfang)
 

4. Cronenberger Ranger: »Wir haben verheerende Kriege aufgrund der Rohstoff- und Energieverknappung zu befürchten!«

    LEHMANN: »Die haben wir bereits gehabt! Der Golfkrieg ist dafür ein gutes Beispiel, denn um den Streit einiger Araber hätte sich niemand gekümmert, wenn nicht in diesen öden wüstenähnlichen Gebieten Öl vorkommen würde. ... Man erkennt bei näherer Betrachtung deutlich, dass das, was man so schön »Globalisierung« nennt, vor allem von Interessen an Rohstoffen und Märkten gesteuert wird.«

    HENNICKE: »Auch dies ist wieder eine Frage von Trend und Alternativen. Bei Öl und bei Gas ist absehbar, dass sich zum Beispiel im Nahen Osten Kriege wiederholen werden (auch der Krieg gegen Saddam Hussein war keinesfalls nur ein Krieg gegen einen Diktator. Es ging letztlich um die Verfügungsmacht über das Öl, denn 60 % der Ölressourcen liegen in dieser Region). Wenn wir da nichts ändern, wird es - bei einer Reichweite des Öls von etwa 40 Jahren - absehbar zu neuen Kriegen kommen. Wenn wir die Ölvorräte aber strecken, indem wir möglichst viele 10 l-Autos durch 1,5 l-Autos ersetzen (was technisch möglich ist) und gleichzeitig Verkehr vermeiden, das Öl gerechter verteilen und sehr viel teurer machen, dann muss es nicht zu solchen Kriegen kommen. Deswegen sagen wir immer wieder: »Wenn ihr nichts tut, Leute, dann schaut der Katastrophe realistisch ins Auge, denn die Trends sind eindeutig. Aber wenn ihr euch anstrengt, können wir euch Alternativen anbieten, die sehr konkret dazu beitragen, dass man Katastrophentrends ändert.« Deswegen haben wir bei all diesen Fragen eine optimistische Grundhaltung, weil wir natürlich hoffen, dass wir dadurch Impulse geben können - an Jugendliche, an die Wirtschaft, an Politiker -, die Alternativen auch umzusetzen.«

    SCHERHORN: »Das kann passieren, wenn die Industrieländer so weitermachen wie bisher. Wenn die Amerikaner und die Europäer weiterhin darauf bestehen, zum Beispiel soviel CO2 zu emittieren und soviel Erdöl zu verbrauchen wie sie es jetzt tun, dann kann es Kriege aufgrund der Ressourcenverknappung geben. Man fragt sich dann nur zwischen wem? Man muss heute damit rechnen, dass China zum Beispiel an militärischer Macht gewinnt. Und in absehbarer Zeit sind die Chinesen soweit, das sie auf ihren Rechten bestehen werden und dann wäre es schon denkbar, dass es Kriege gibt. Die Industrieländer müssen einfach ihren derzeitigen naturverbrauchenden Lebensstandard herunterfahren. Das heißt ja nicht, dass wir schlechter leben müssen. Das heißt nur, dass wir weniger Rohstoffe und weniger Energie verbrauchen.«

(zurück zum Anfang)
 

5. Cronenberger Ranger: »Der motorisierte Individualverkehr hat keine Zukunft!«

    LEHMANN: »In der Form, wie er jetzt läuft, hat er keine Zukunft, aber insgesamt gesehen wird man immer einen Anteil an Individualverkehr brauchen, insbesondere in ländlichen Gebieten. Diese Behauptung würde ich deshalb so nicht stehenlassen. Er hat nur eine Zukunft, wenn er vernünftig mit dem Öffentlichen Verkehr vernetzt wird. Außerdem muss der Flächen-, Rohstoff- und Energieaufwand, der für die Herstellung der Fahrzeuge, für die Infrastruktur u.s.w. betrieben wird, deutlich verringert werden.«

   HENNICKE: »Das ist übertrieben. Das Auto wieder aus der Zivilisation zu entfernen halte ich für unmöglich. Was getan werden muss, ist, das durchschnittliche Auto von einem Verbrauch von 10 Litern auf 3 Liter abzurüsten und wo es geht, PKW-Verkehr zu vermeiden und diesen auf das Fahrrad, die Bahn und den Öffentlichen Nahverkehr zu verlagern.«

   SCHERHORN: »Er hat keine Zukunft, vor allem weil er zuviel Erdöl verbraucht, das eine knappe Ressource ist (es gibt vielleicht noch für 30 bis 40 Jahre Erdöl). Im Grunde ist das Erdöl zu schade, um verheizt oder in Form von Benzin verfahren zu werden. Es ist viel wichtiger, daraus Chemikalien, Arzneimittel u.s.w. herzustellen, dafür wird es sicher auch noch in hundert oder zweihundert Jahren gebraucht werden. Der motorisierte Individualverkehr müsste dringend geändert werden. Ich halte es jedoch nicht für wahrscheinlich, dass die Menschen auf das Auto ganz und gar verzichten werden. Also muss man andere Antriebe verwenden (z.B. Elektromotoren). Wenn der Strom dann von der Sonne bezogen würde, wäre gegen den motorisierten Individualverkehr nichts einzuwenden, vorausgesetzt, er nimmt nicht zuviel Flächen ein.«

(zurück zum Anfang)
 

6. Cronenberger Ranger: »Die Eingriffe in das Erbgut durch Gentechnik gefährden das Dasein aller Lebewesen!«

    LEHMANN: »Darauf kann man nur mit Ja antworten. Das große Problem von Genmanipulationen ist - soviel Hoffnung auch hineingesteckt wird - das wir absolut unerwartete, unkontrollierbare Effekte erzielen. Selbst solche Eingriffe, hinter denen nur gute Absichten stehen, können etwas erzeugen, das vorher nicht bedacht werden konnte. Das System Erde und auch der Bereich der modernen Technik sind so hochkompliziert, das man eigentlich nicht abschätzen kann, welche Auswirkungen sich ergeben können. Ein gutes Beispiel ist der Gen-Raps, der völlig unvorhersehbar zu einem regelrechten Suchtmittel für Rotwild wurde und so zu Mangelerscheinungen in der Ernährung des Wildes führte.«

    HENNICKE: »Das ist eine sehr strittige Frage. Es stimmt sicher, wenn man an den Genen von Menschen herummanipuliert oder wenn man gentechnisch veränderte DNA patentieren läßt, das andere - zum Beispiel in der Nutzung von Naturreichtümern - ausschließt. Ich glaube, dass Gentechnologie trotzdem - wo sie dem Menschen nachweislich hilft und keine neuen Risiken schafft - Sinn macht (Beispiel Insulin-Herstellung, Biotechnologie). Das muss aber nachgewiesen werden und die Risiken müssen ausgeschlossen werden.«

    SCHERHORN: »Davon bin ich überzeugt! Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen, dass Genmanipulationen unter Umständen Leben retten können. Es ist immerhin denkbar, dass Krebserkrankungen eines Tages in irgendeiner Weise durch genmanipulierte Arten geheilt werden könnten. Was auf gar keinen Fall geschehen darf, das ist die Genmanipulation an Menschen und das Überspringen manipulierter Gene auf andere Arten. Es gibt Beweise dafür, dass so etwas passiert. Das muss unter allen Umständen verhindert werden und es muss sichergestellt sein, dass genmanipulierte Nahrungsmittel gekennzeichnet sind, so dass die Menschen selber entscheiden können, ob sie sie verwenden wollen oder nicht.«

(zurück zum Anfang)
 

7. Cronenberger Ranger: »Der verschwenderische Umgang mit Trinkwasser wird zu dramatischer Wasserverknappung führen!«

    LEHMANN: »Er wird nicht nur..., er hat bereits zu dramatischer Wasserverknappung geführt. Wir sitzen in Deutschland und haben Glück, denn ein Drittel der Menschheit hat nicht genügend zu Essen und zu Trinken. Es muss nicht so weitergehen. Die Wasser-Problematik ist allerdings ein sehr beziehungsreiches Gebiet, vor allem, weil das Wasserangebot regional sehr unterschiedlich ist. Auch wenn wir in einem Land mit Wasserüberfluss leben, heißt das natürlich nicht, dass wir mit unserem Wasser beliebig umgehen können. Eine andere Seite ist zum Beispiel die aberwitzige Produktion von Weizen oder Orangen in Wüstengebieten, die mit Unmengen von Wasser aus weit entfernt liegenden Orten versorgt werden müssen. Leider gibt es keine einfachen Antworten auf das Problem. Wir können weder sagen »Wir duschen nur noch halb so oft«, noch »Wir trinken keinen Orangensaft mehr aus Kalifornien«, dazu ist das Problem zu vielseitig. Eine Lösung wäre sicherlich, das Wasser einfach teurer zu machen, egal, aus welcher Quelle es stammt. Dann hätten die Produzenten Veranlassung, ihre Produkte mit geringerem Wassereinsatz herzustellen, um weiterhin Käufer dafür zu finden.«

    HENNICKE: »Das ist richtig. Vor allen Dingen in den Ländern, wo sauberes Trinkwasser schon jetzt knapp ist. Wir müssen dringend Methoden entwickeln, das Wasser gerechter zu verteilen und wir müssen wassersparende Technologien einsetzen, die den Verbrauch um den Faktor Fünf und mehr reduzieren können, um mit der Wasserverschwendung Schluss machen.«

    SCHERHORN: »Das ist richtig und das ist jetzt gerade im UNO-Bericht »Geo 2000« wieder ganz dramatisch dargestellt worden. Es wird zu dramatischer Wasserverknappung kommen und möglicherweise zu Kriegen um Wasserrechte (z.B. im Vorderen Orient). Es gibt riesige Probleme um Trinkwasser und sie werden auch uns erreichen. Wir müssen dringend etwas dagegen tun. In Deutschland müssen wir dafür sorgen, das unser Wasser qualitativ nicht schlechter wird. Quantitativ werden wir bei uns immer genug Wasser haben. Doch durch die Landwirtschaft können Pestizide ins Grundwasser gelangen, so dass es nachher nicht mehr brauchbar ist. Schon heute kann man in Deutschland aus Brunnen nicht mehr trinken. Das ist unsere vorrangige Aufgabe.«

(zurück zum Anfang)
 

8. Cronenberger Ranger: »Die zunehmende Verseuchung der Umwelt mit Schadstoffen aller Art wird eines Tages dazu führen, dass eine gesunde Ernährung nicht mehr möglich ist!«

    LEHMANN: »An dieser Stelle möchte ich zuerst auf den Unterschied zwischen Gesundheitspolitik und Ökologie hinweisen. Wenn ich zum Beispiel ein Stück Asbest in den Wald werfe, werden davon relativ wenige bis gar keine Lebewesen betroffen sein. Asbest in einem geschlossenen Gebäude jedoch kann die dort wohnenden oder arbeitenden »aufrechtgehenden Säugetiere« langfristig schädigen. Diesen Unterschied muss man wahrnehmen. Aus Sicht der Gesundheitspolitik ist es tatsächlich so, dass rund 35.000 Stoffe den Menschen zunehmend belasten, angefangen von Allergien bis hin zu Krebs oder genetischen Schädigungen. Auf der anderen Seite können diese Stoffe in ihren vielfältigen, unbekannten Wechselwirkung und aufgrund verzögerter Freisetzungen - zum Beispiel aus Mülldeponien - eine Gefahr für alle Lebewesen darstellen. Auch hier wäre die Erhöhung der Ressourcenproduktivität ein möglicher Weg, denn was ich vorne nicht hineintue, kommt hinten gar nicht erst heraus!«

    HENNICKE: »Wir sind eigentlich auch hier Optimisten. Wir wissen, dass eine schleichende Verseuchung stattfindet, es gibt ja genug Skandale, die in diese Richtung deuten. Aber auf der anderen Seite wächst das Verbraucherbewusstsein sprunghaft. So sind zum Beispiel genmanipulierte Nahrungsmittel in Europa nicht absetzbar. Selbst die Deutsche Bank warnt inzwischen die großen Hersteller in den USA, dass das kein geeigneter Absatzmarkt ist.«

    SCHERHORN: »Das ist richtig, wenn die Umwelt weiter mit Schadstoffen verseucht wird. Aber auch da kann man sagen: Es ist schon einiges besser geworden. Man kann annehmen, dass die Schadstoffemissionen rückläufig sind. Wenn wir es erreichen, dass die Landwirtschaft weniger mit Insektiziden und Pestiziden arbeitet und das weniger Nitrate und Chemikalien emittiert werden, dann wird eine gesunde Ernährung weiter möglich sein. Die Ernährung der Menschheit wird wahrscheinlich durch das Problem der Erosion stärker gefährdet als durch das Problem der Schadstoffe.«

(zurück zum Anfang)
 

9. Cronenberger Ranger: »Nach dem Versiegen der fossilen Energieträger wird der Einsatz von erneuerbaren Energiequellen und sparsamer Technik nicht ausreichen, um den zukünftigen Energiebedarf der Menschheit zu decken!«

    LEHMANN: »Das ist Unsinn! Es ist mehrfach nachgewiesen, dass wir mit einem Mix aller erneuerbaren Energieträger - Windkraft, verschiedenen Solarnutzungen, Biomasse, Geothermie - und dem sinnvollen Einsatz von energiesparenden Techniken den gesamten Bedarf der Menschheit mehrfach decken könnten. Wir haben bereits heute die Technologien, um Europa vollständig solar zu versorgen. Wir müssen es nur tun, daran hakt es! Es ist noch nicht einmal zu kostspielig und schafft neue Arbeitsplätze. Man müsste Gelder, die bisher für fossile Energieträger ausgegeben wurden, in Investitionsprogramme für erneuerbare Energien umlenken und würde dann in den nächsten 50 bis 100 Jahren ein vollständig solar versorgtes Europa aufbauen können.«

    HENNICKE: »Das halte ich für einen großen Irrtum und wir können das jetzt besser nachweisen als jemals zuvor. Ich habe gerade mit Amory LOVINS ein Buch fertig gemacht, wo wir ein Weltenergieszenario berechnen, das nachweist, dass man den Energieverbrauch trotz Verdopplung der Bevölkerungszahlen (gerechnet bis zum Jahr 2050) konstant halten kann. Und davon könnten zwei Drittel weltweit mit erneuerbaren Energieträgern bereit gestellt werden, ohne Kernenergie und mit einer CO2 -Reduktion um 50 %. Das ist für uns der Beleg, dass eine Risikominimierung - das heißt Klimaschutz ohne Atomenergie - im Energiebereich machbar ist«

    SCHERHORN: »Nein, das stimmt nicht! Wir sollten erstens nicht warten, bis wir keine fossilen Energieträger mehr haben, sondern schon vorher aufhören und beschleunigt auf Biomasse und Sonne umschwenken. Zweitens: Es ist längst ausgerechnet, dass Biomasse und Sonnenenergie das abdecken werden, was wir wirklich an Energie brauchen. Allerdings liegt die Betonung auf wirklich, denn wir können zuerst einmal einen sehr großen Teil dessen, was wir heute verbrauchen, einsparen. Den Rest können wir mit regenerativen Energien decken. Was kann man nicht alles einsparen durch Wärmedämmung oder sparsamere Heizanlagen - enorm viel. Was dann übrig bleibt, das kann mit Biomasse und Sonnenenergie gedeckt werden.«

(zurück zum Anfang)
 

10. Cronenberger Ranger: »Der modernen Gesellschaft fehlen grundlegende Werte, um eine Harmonisierung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur zurückzugewinnen!«

    Harry Lehmann: »Das wesentliche Problem ist, dass das, was die Menschen tun, heute nicht mehr direkt mit den Folgen ihrer Handlungen verbunden ist. Ein Mensch in der Steinzeit merkte alle Auswirkungen seines Tuns unmittelbar. Wir jedoch nehmen weder wahr, was irgendwo in der Welt geschieht, um ein Produkt herzustellen, noch sehen wir, welche Auswirkungen eine Handlung in vielen Jahren haben wird. So ist keine Unmittelbarkeit vom Handeln zur Auswirkung gegeben. Wir wissen jedoch vom menschlichen Verhalten, dass wir gerade diese Unmittelbarkeit brauchen. Das ist das erste Problem. Das zweite sind die Wertmaßstäbe einer »globalisierten, digitalisierten Konsumgesellschaft«, die ein ausgeglichenes Verhältnis zur lebendigen Umwelt natürlich nicht fördern. Welche Werte nun eigentlich entwickelt werden müssten ist fraglich. Es gibt jedoch einen, den jeder Mensch haben müsste, das ist der Überlebenstrieb. Wenn allein dies für dich, für mich und für die kommenden Generationen einen größeren Wert hätte und das Problem der abgekoppelten Wahrnehmung aufgehoben wäre, dann würde es funktionieren. ... Es ist wohl klar, dass es für jeden Menschen unendlich schwierig ist, sich ordentlich seinen eigenen Vorsätzen oder Theorien nach zu benehmen, denn man sieht ja keine unmittelbare Wirkung! Ich fühle mich vielleicht besser und wohler oder bin eitel, das ich ein ganz toller Mensch bin, aber wenn ich mich dann doch anders verhalte. ... Ich glaube nicht so sehr, dass die Werte das eigentliche Problem sind, sondern die Entkopplung der Werte vom Handeln und den Folgen des Handelns.«

    Prof. Dr. Hennicke: »Wir brauchen eine Harmonisierung von Mensch und Natur, sowie ein anderes Wertesystem, damit sich so etwas einstellt. Dem stimme ich uneingeschränkt zu! Wenn man sich Jugendliche anschaut, kann man auch hier optimistisch sein. Als ich in Eurem Alter war, waren Umweltprobleme überhaupt kein Thema. Wenn ich jedoch zum Beispiel von meinen eigenen Kindern ausgehe, dann sehe ich eine sehr stark wachsende Umwelt-Sensibilität - speziell in den Industrieländern - und das ist ein Wertewandel, der schon stattfindet. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch durch die Computer, durch das Auto, durch Kino, durch Kommunikationsmittel Gegentrends. Deswegen ist es wichtig, dass man neue Methoden - auch Lernmethoden - entwickelt, damit es Spaß macht, nicht nur mit Computern umzugehen oder den »Krieg der Sterne« anzuschauen, sondern mit Natur umzugehen. Das muss man schrittweise wieder lernen. Die, die zum Beispiel auf unmäßiges Autofahren gesetzt haben, müssen langsam wieder entwöhnt werden. Ihr wisst ja selbst, wenn man mit dem Auto durch die Welt fährt, sieht man die Natur und den Menschen ganz anders wie als Fußgänger: Man sieht sie als »Hindernis«. Das heißt, das Auto löst Handlungsweisen aus, die mit Suchtverhalten und einem Entzug von Natur verbunden sind. Deswegen ist gerade dieser Wertewandel »Hin zu mehr Naturverständnis« eine der kompliziertesten Fragestellungen. Auch hier ist vor allen Dingen die neue Generation gefragt. Es ist Eure Erde, die Ihr erhalten müsst!«

   Prof. Dr. Scherhorn: »Das ist die schwierigste Frage! Ich meine gar nicht, dass der modernen Gesellschaft diese grundlegenden Werte fehlen - aber wir wenden sie nicht an! Es ist ja nicht so, als müssten wir jetzt plötzlich neue Werte haben. Es fehlt zum Beispiel eine Werthaltung, die sagt: »Ich muss mich einfach am Energiesparen beteiligen». Und diese Werthaltung ist insbesondere in den Industrieländern zweifellos zu wenig ausgeprägt. Es läuft ja darauf hinaus, das wir zu wenig für die Gemeinschaft tun, doch das kann man meiner Ansicht nach nicht dem Einzelnen zuschreiben. Wir haben die Gesellschaft in den Industrieländern so eingerichtet, dass der Einzelne zuerst an sich denkt und zu wenig Möglichkeiten hat, an die Mitwelt und an die Nachwelt zu denken. Es müsste ein Bewusstsein geben, das sagt: »Der macht mit, also mache ich auch mit!». Die Menschen sind im Prinzip bereit, füreinander etwas zu tun, wenn sie nur das Gefühl haben, dass alle mitmachen. Wir haben zu wenig gesellschaftliche Einrichtungen, die dieses Gefühl verstärken. Die wichtigste Möglichkeit ist, dass Menschen miteinander reden! Es gibt viele Möglichkeiten dazu. Sie müssen dazu nur hervorgelockt werden. Wir haben verlernt, solch ein Gemeinschaftsgefühl zu leben.«

(zurück zum Anfang zum Anfang)
 

11. Cronenberger Ranger: Wir hätten nun gern eine persönliche Einschätzung zur Stabilität und Zukunftsfähigkeit der modernen Lebensweise!«

    Harry Lehmann: »Ist eine Lebensweise überhaupt stabil? In den letzten vierzig Jahren, in denen ich lebe, konnte ich feststellen, dass sich die Lebensweise schon sehr deutlich verändert hat. Die Sechziger, Siebziger oder Achtziger Jahre sind von komplett unterschiedlichen Lebensweisen gekennzeichnet. Das heißt, die Frage ist, welche Teile der modernen Lebensweise nicht zukunftsfähig sind? Wir haben in den Industriegesellschaften immer mehr Dinge und Dienstleistungen in Anspruch genommen. Wir haben ein großes Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich weltweit erzeugt und wir haben immer mehr Rohstoffe verbraucht. Das hat jedoch nicht unbedingt zu mehr Lebensqualität geführt. So werden sicherlich viele Menschen die hektischen Neunziger Jahre nicht unbedingt großartig finden, obwohl sie viel mehr konsumieren konnten als vorher. Nachdem ich nun das Terrain um die Frage abgesteckt habe, kann ich sagen: Wir werden eine zukunftsfähige Entwicklung von Lebensweisen haben, wenn wir die Basis dieser Lebensweisen auf einen deutlich verringerten Verbrauch von Rohstoffen, Energie, Wasser und Flächen aufstellen? ... Dann können wir einen Wohlstand halten, der vielleicht etwas unter dem heutigen liegt - das ist meine Schätzung. Das bedeutet nicht übermäßigen Verzicht. Wir sollten uns jedoch darüber Gedanken machen, ob wir die tausend Dinge, mit denen wir uns täglich umgeben, wirklich zum Wohlfühlen brauchen, denn die reine Konsumgesellschaft ist sicher nicht zukunftsfähig. Um es in einem Satz zu sagen: Zukunftsfähige Lebensweise ja, aber nur unter der Bedingung einer ökologisierten Industriegesellschaft.«

    Prof. Dr. Hennicke: »Unsere Lebensweise ist nicht zukunftsfähig! Wenn unser Pro-Kopf-Verbrauch in allen Bereichen auf 10 Milliarden Menschen übertragen würde, dann gäbe es eine Katastrophe. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich ein Lernprozess entwickelt. Das Problem liegt darin, dass erst die Summe der kleinen, individuell verursachten Schäden zu einer Katastrophe wird und dass individuell umweltschonendes Verhalten keine unmittelbaren und global positiven Effekte hat. Daraus eine soziale Bewegung zu machen - das ist die Aufgabe! Es sollte in jeder Stadt, in jedem Dorf, in jeder Region eine Rangergruppe geben!«

(zurück zum Anfang)