Grußwort von Dr. Klaus Töpfer

Die Erd-Charta versteht sich als eine inspirierende Vision grundlegender ethischer Prinzipien für eine nachhaltige Entwicklung und sie soll ein verbindlicher Vertrag der Völker auf der ganzen Welt werden. Grundlegend sind die Achtung vor der Natur, die all-gemeinen Menschenrechte, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und eine Kultur des Friedens.

Knapp ein Jahr vor dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung stehen wir vor großen Herausforderungen: Der Gegensatz zwischen der Armut eines Großteils der Erdbevölkerung und dem Reichtum einer Minderheit ist seit dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 gestiegen. Das Ziel von UN-Generalsekretär Kofi Annan, bis zum Jahre 2015 die absolute Armut um 50 Prozent zu halbieren, ist nur mit einer grundsätzlichen veränderten Haltung der Solidarität zwischen den Ländern des Nordens und des Südens zu realisieren.

Neben der dramatischen und weiter ansteigenden Armut in den Entwicklungsländern ist das exzessive Konsumverhalten und die ineffiziente Ressourcennutzung in den hochentwickelten Ländern das sicherlich größte Gift für die Stabilität von Natur und Umwelt und für eine friedliche Gestaltung dieser Welt.

Ein Beispiel soll diesen Zusammenhang verdeutlichen: Der afrikanische Kontinent hat gegenwärtig einen etwa 13-prozentigen Anteil an der Weltbevölkerung, aber nur einen Anteil von 3,2 Prozent an den globalen CO 2 -Emissionen, dem wichtigsten - das Klima beeinflussende - Treibhausgas. Die Auswirkungen des Treibhauseffektes sind aber gerade in Afrika besonders dramatisch: Extreme Wetterbedingungen wie Dürren und sintflutartige Regenfälle, fortschreitende Wüstenbildung mit dem Verlust von Anbauflächen. Immer stärker werden begrenzte Wasservorräte zum Gegenstand von Konflikten. Immer mehr Menschen werden zu "Umweltflüchtlingen".

Das Beispiel zeigt: Die hochentwickelten, "reichen" Nationen dieser Welt wälzen bedeutende Teile ihrer Wohlstandskosten gerade auf die unterentwickelten Länder ab. Diese "ökologische Aggression" ist Ausgangspunkt und bleibende Ursache für Konflikte. Globale Umweltvorsorge-Politik wird somit zu einer entscheidenden Komponente regionaler Friedenspolitik. Zu den notwendigen Verhaltensänderungen in den hochentwickelten Staaten gehört auch die Rückbesinnung auf gemeinsame Werte und die Erkenntnis, dass die gesamte Menschheit Verantwortung trägt für den Schutz der Umwelt, den Erhalt der Artenvielfalt, die effiziente Nutzung der begrenzten Ressourcen unseres Planeten.

Die Erd-Charta verdeutlicht diese Zusammenhänge auf bestechende Weise. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen unterstützt die in der Charta formulierten Grundsätze und wird sich weiterhin dafür einsetzen, die Kultur der Solidarität zwischen den Kontinenten, zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft voranzutreiben. Dies ist kein blauäugiger, sondern ein realistischer Optimismus, der darauf aufbaut, dass mit dem Wissen um die wachsenden Probleme auch die technischen Möglichkeiten und das ethische Verantwortungsgefühl für ihre Lösung gestiegen sind. Es ist meine Hoffnung, dass die in der Erd-Charta formulierten Prinzipien als Leitsätze für Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Industrie und Wissenschaft weltweit und als Grundlage für die Vorbereitungen des Weltgipfels in Johannesburg dienen mögen. 

Dr. Klaus Töpfer
Executive-Director of the
United Nations Environment
Programme (UNEP),
Nairobi