... Unserer Tradition gemäß achteten wir darauf, daß
unser Bevölkerungszuwachs andere Lebensformen nicht überlastete.
Wir hielten uns streng an die Gebote der Lebenserhaltung. Unsere Kultur
baut auf einem Grundsatz auf, der uns lehrt, ständig an das Wohlergehen
von sieben zukünftigen Generationen zu denken. ... / ...
Niemand litt Mangel und ein jeder hatte ein selbstverständliches Recht
auf Nahrung, Kleidung und Behausung. ... [SOTSISOWAH
/ Lit. 1, Seite 39 / 42]
Nach dem katastrophalen Massensterben durch die »Human Apocalypse«
hat die Kontrolle der Bevölkerungszahl heute einen ganz hohen Stellenwert!
Zur Zeit hat der Rat des BWG (also die gesamte Welt-Gemeinschaft der Wahlberechtigten
auf höchster Ebene) entschieden, bis auf Weiteres nur die 1-Kind-Familie
und kinderlose Paare finanziell zu fördern, um die Zahl der Menschen
in den nächsten hundert Jahren auf 4 Milliarden zu schrumpfen. Das
mag für Sie grausam klingen, denn nach welchen Merkmalen wird ausgewählt?
Wer wählt aus? Wie sieht eine Welt ohne viele Kinder aus? ... Wir
haben gelernt, dass das Ziel nicht anders zu erreichen ist.
Die Bevölkerungszahl ist natürlich nicht
nur von der Geburtenrate abhängig, sondern auch von der Sterberate.
Auch in diesem Bereich hat sich sehr viel verändert, was Ihnen möglicherweise
zu denken geben wird. ...
Die durchschnittliche Lebenserwartung in den USE
ist trotz der katastrophalen Ereignisse vor 50 Jahren auf 91 Jahre gestiegen
- dank gesunder Lebensführung und modernster Gesundheitstechnologien.
Wenn ich morgen eine neue Lunge benötigen würde, so wäre
das überhaupt kein Problem. In wenigen Wochen kann aus meiner tiefgefrorenen
Nabelschnur eine neue Lunge aus Eigengewebe gezüchtet werden. Kein
Wunder, sondern Gentechnik total. Sofern ich eine regelmäßige
Gesundheitsvorsorge und ein gesundes Leben nachweisen kann, ist diese Leistung
sogar kostenlos! Im Jahre 2124 - wenn ich 60 werde - erlischt jedoch mein
Anspruch auf kostenlosen Organersatz. Um darüberhinaus davon zu profitieren,
kann ich heute mehr arbeiten und etwas für den Fall ansparen. Das
ist allerdings eine sündhaft teure Angelegenheit, die nicht viele
Menschen machen. Ich wüsste gern, was Sie bei dem Gedanken an dieses
Verfahren denken?
Wie sieht denn nun das Arbeitsleben in der »neuen«
Welt aus?
Jeder erwachsene Bürger hat eine Pflicht zur Arbeit. Wer aus irgendwelchen
Gründen arbeitslos wird, der muss bei staatlichen Hilfsdiensten arbeiten,
bis er eine neue Stelle gefunden hat. Allerdings kommt das recht selten
vor, denn wie zu allen Zeiten ist immer noch genügend Arbeit für
alle da! Sie ist jetzt nur gerechter verteilt. Niemand muss mehr 40 Stunden
die Woche an einer Maschine schuften. Nach der letzten BWG-Personal-Bedarfsbemessung
muss jeder Erwachsene 21 Stunden pro Woche arbeiten. Damit lässt sich
die Grundversorgung der Weltbevölkerung mit Gütern aufrechterhalten.
Klingt sehr angenehm, oder? Doch Sie werden staunen, wenn ich Ihnen jetzt
erzähle, dass ich davon nur sieben Stunden bezahlt bekomme! Für
die 14 Basisstunden erhalte ich einen Arbeitsausweis und kann damit in
den staatlichen Versorgungsgeschäften soviele landestypische Lebensmittel,
Verbrauchsartikel und alles, was man so zum täglichen Leben braucht,
kostenlos mitnehmen. Das erinnert vielleicht an kommunistische Ideen -
ist aber in Wirklichkeit ganz anders organisiert und nur eine Seite der
Medaille. Ich zum Beispiel habe in den letzten sechs Wochen 156 Stunden
gearbeitet. Für die 36 Stunden, die ich freiwillig länger gearbeitet
habe, bekomme ich ein zusätzliches Gehalt. Damit finanziere ich alle
Dinge, die über den Normalbedarf hinausgehen. Diese Dinge unterliegen
wie zu Ihrer Zeit marktwirtschaftlichen Preisschwankungen.
Von den sieben bezahlten Pflicht-Stunden und jeder
weiteren freiwilligen Verdienst-Stunde wird kein Value - so heißt
die neue Welt-Währung - für Steuern abgezogen. Nur ein kleiner
Anteil für die Sozialversicherung. Besteuert wird stattdessen der
Energie- und Rohstoffverbrauch, auch von den Dingen, die ich kostenlos
erwerben kann! Für den Kauf bestimmter Dinge, die besonders umweltfreundlich
oder gemeinschaftsförderlich sind, erhält man Bonus-Punkte, die
sich steuermindernd auswirken.
Die Steuern und Preise sind heutzutage »umfassend«,
das heißt, sie geben die tatsächlichen Kosten wieder, die ein
Gegenstand verursacht. So ist Benzin (aus Raps) heute nahezu unerschwinglich
und zudem mit einer immensen Steuer belastet, während Wasserstoff
als häufigster Energieträger für Kraftfahrzeuge spottbillig
und steuerfrei ist.
Es war nicht einfach für die Menschen, sich
an diese ökologische Kostenrechnung zu gewöhnen. Plötzlich
war eine Banane ein teures, kostenpflichtiges Luxusgut und ein Apfel landestypisch
und umsonst; oder eine Flugreise kostete bei der gleichen Entfernung achtmal
soviel wie eine Bahn reise. Doch nach den Katastrophen der dreißiger
und vierziger Jahre waren die Menschen auch zu solchen Umstellungen gern
bereit.
Damals musste übrigens jeder, der mehr als
250.000,- Euro besaß, das »Übervermögen« komplett
für das Gemeinwohl abführen. Auch heute noch gibt es Einkommensobergrenzen,
die verhindern sollen, dass erneut ein Ungleichgewicht zwischen Arm und
Reich entsteht. Aber die Grenzen sind - wenn man mal ehrlich ist - sehr
tolerant. Genauso gibt es Einkommensuntergrenzen, damit jede Arbeit ihren
Wert behält.
Leider ist die Welt immer noch nicht gänzlich
frei von bewaffneten Auseinandersetzungen. Genannt seien hier Israel und
seine Nachbarländer Palästina, Jordanien und Syrien, die autonome
Republik Nordirland, Irak, Zaire, Indonesien und Kolumbien. Sämtliche
genannten Staaten wurde daher bisher der Beitritt zu einem der Staatenverbünde
verweigert und sind die in der Karte gepunkteten »Neutral States«.
...
Da kommt übrigens Lena herein: Sie erinnert mich an die Veränderungen
in Schule und Bildung.
Die Grundschule dauert heute sechs Jahre und soll
den Kindern allgemeines Grundwissen vermitteln. Englisch wird als erste
Fremdsprache weltweit ab der ersten Klasse unterrichtet. Das gleiche gilt
für Politik, wie ich schon ausgeführt habe. Neben den klassischen
Fächern sind einige neue hinzugekommen, die die Kinder die ganze Schulzeit
oder einen Teil davon begleiten: So etwa »Freizeitgestaltung«,
das den Schülern über zwei Schuljahre konsumfreie Beschäftigungsmöglichkeiten
aufzeigen und die Sinnfindung fördern soll; oder »Gesundheitslehre«
über einen Zeitraum von drei Jahren. Besonders zu erwähnen ist
das Fach »Ethik und Religionen«,
dass während der ganzen Schullaufbahn gelehrt wird. Hier geht es darum,
möglichst viele verschiedene Denkmodelle kennenzulernen, sowie Achtung
vor dem Leben und andere hohe Werte zu entwickeln.
In den weiterführenden Schulen bis zur 13.
Klasse findet eine starke Zuordnung nach Neigungen und Fähigkeiten
statt. Auch hier gibt es einige Fächer, die zu Ihrer Zeit noch ungewöhnlich
waren, wie z.B. »Recht« oder »Psychologie«. Außerdem
gibt es verschiedene Förderungen für besondere praktische oder
theoretische Begabungen und die Schüler bekommen frühzeitig die
Möglichkeit, in verschiedene Berufe hineinzuschnuppern. So besucht
zum Beispiel Jan zur Zeit einen Wahlkurs »Kunststofftechnik«.
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