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Ebene 3 - Thema ausführlich: »Wohlstand und Wirtschaft«
... Wir waren das Volk eines unermeßlichen Waldes. Er war die Quelle großen Wohlstandes. ... Es war in der Tat eine Art Utopia, ein Ort, an dem niemand Hunger litt, ein Ort, an dem die Menschen glücklich und gesund waren. ... / ... Unser Volk führt ein Leben in Einfachheit, daß unbelastet ist von dem Bedürfnis nach endloser Anhäufung materieller Güter. Die Tatsache, daß unsere Bedürfnisse gering sind, bedeutet auch, daß es leicht ist sie zu erfüllen. ... [SOTSISOWAH / Lit. 1, Seite 39 / 41 - 42]

Meine Großeltern haben noch eine vollkommen andere Art von Wohlstand erlebt als ich. Damals definierte man sich noch fast ausschließlich über den materiellen Reichtum. Das die Erde als ganzes kein Eigentum der Menschheit sein kann und wir nur ein abhängiger Teil vieler verschiedener Systeme sind, wurde nur von einer winzigen Minderheit traditioneller Völker und einiger weniger weitblickender Denker vertreten. So war es selbstverständlich, dass die Erde mit alle ihren Bewohnern und Gütern im Sturm in Besitz genommen wurde. Damals galt für den Wohlstand die einfache Formel: »Hast du was, bist du was!« Dieses Ziel spiegelte sich natürlich auch in der Wirtschaft wieder, deren höchstes Ziel das endlose Wachstum war. Dazu kam ein verbitterter Konkurrenzkampf, der beschönigend als »geschäftsbelebend« bezeichnet wurde, der aber in Wirklichkeit im Laufe der Zeit fast alle kleinen und mittleren Betriebe zum Opfer fielen. Daraus entstanden die Multi-Konzerne, die ja noch heute - wenn auch in veränderter Arbeitsweise - den Markt beherrschen. Die Historiker streiten sich darüber, was der Motor dieser Entwicklung war: Waren es die konsumsüchtigen Verbraucher, die profitorientierte Wirtschaft oder die Politiker, die blind und machtbesessen der reinen anti-ökologischen Wirtschaftslehre folgten? 
    Die Folgen dieser Entwicklung waren jedenfalls katastrophal für die Welt! Für meine Eltern war Wohlstand dann nur noch ein sicheres Plätzchen in einem Haus mit Solarstromlampen - die wenigstens an dunklen Winterabenden für ein paar Stunden Licht gaben -, einem warmen Raum und drei halbwegs erschwinglichen Mahlzeiten am Tag. Ich kann mir weder den üppig-materiellen Wohlstand meiner Großeltern, noch den »Un-Wohlstand« meiner Eltern vorstellen. Nachdem die Menschheit ihre folgenschweren Jugendsünden endlich bereut und verstanden hatte, gelang der Wiederaufbau erstaunlich schnell. Trotz der einschneidenden Folgen für den Naturhaushalt, unter dem wir noch viele Generationen lang leiden werden, kann man heute wieder gut leben - vielleicht besser als je zuvor!
    Kein Mensch auf der Erde braucht mehr Hunger zu leiden, weil das BWG streng darauf achtet, dass alle Staaten nach Ihrer Einwohnerzahl über etwa gleich große finanzielle Mittel verfügen. Diese Regelung ist eine Folge der Globalisierung, die Anfang des Jahrhunderts zu einer immer größeren Schere zwischen Arm und Reich geführt hat. Die Unterschiede, die durch Handelsleistungen oder Produktionsüberschüsse entstehen, werden regelmäßig ausgeglichen. Die Möglichkeit, mehr als andere zu verdienen, besteht heute nur noch für Privatleute, die mehr als notwendig leisten möchten. 

Mein Mann zum Beispiel schwärmt seit Jahren von einer Traumreise nach Indien. Da das Fliegen heute zwanzigmal teurer ist als zu Ihrer Zeit, arbeitet er jede Woche rund fünf Stunden über dem Soll, um uns diese Reise in zwei, drei Jahren ermöglichen zu können. Das heißt nicht, dass wir sonst keine Reisen machen können. Wir fahren jedes Jahr ein- bis zweimal weg - mit der Bahn nach Schweden oder Spanien beispielsweise. Das dauert zwar trotz 400 km/h schneller Hochgeschwindigkeitszüge deutlich länger als ein Flug, ist aber erstens viel preiswerter und zweitens ein echtes Erlebnis! Sie können sich nicht vorstellen, welchen Service die Bahn heutzutage bietet: Da gibt es unter anderem Massageliegen und Fitness-Sessel, Kino an Bord, Computerspiele und TV an jedem Sitzplatz und sogar eine Sauna. Verspätungen und Unfälle sind dank modernster Computertechnik so gut wie ausgeschlossen und um das Gepäck braucht man sich nur noch zu Hause und am Ziel der Reise zu kümmern. Manchmal fahren wir auch mit einem Car-Sharing* Auto weg. Voriges Jahr waren wir damit in Apeldoorn, um bei Reinigungsarbeiten in der neuen holländischen Bucht zu helfen. Dieser Urlaub im Rahmen des internationalen Programmes »Time for Help« wurde übrigens vom Staatenverbund bezahlt.
    Ansonsten kosten Urlaubsreisen natürlich Geld. Ganz anders ist das mit der Benutzung des öffentlichen Nahverkehres. Sämtliche Busse, Nahverkehrszüge, CyberTrans und Selbstfahrer sind kostenlos. Selbstfahrer sind übrigens Autos, die überall herumstehen und für jeden Führerscheininhaber frei zugänglich sind. Und was CyberTrans sind, das erklärt Ihnen lieber gleich mein Mann. In Verbindung mit dem voll ausgebauten Netz von Bussen und Bahnen ist man fast so mobil wie in früheren Zeiten. Oder sagen wir besser: Man könnte, wenn man wollte, aber es ist nur selten notwendig. Das vorrangigste Ziel unserer Stadtplaner ist es, die vier Kulturfaktoren »Wohnen«, »Arbeiten«, »Versorgung« und »Freizeit« möglichst dicht zusammen zu bekommen. In Wuppertal ist das gut gelungen: 

Wir wohnen in einem Familienwohnpark am Stadtrand. Einige Grundnahrungsmittel - wie Äpfel, Salat oder verschiedene Gemüse - produzieren wir im Park selber, den Rest des kompletten Bedarfs an Dingen decken wir im zwei Kilometer entfernten Einkaufspark. Shoppingfahrten in die Nachbarstädte aus reinem Vergnügen oder ähnlichen Unsinn gibt es nicht mehr, da die Preise und das Grundangebot überall gleich sind. Und für die Freizeit stehen im Umkreis von zehn Kilometern allerhand staatliche (also kostenlose) und private Angebote zur Verfügung: Ein virtuelles Raumkino, verschiedene Sportstätten, Kneipen und Discotheken, ein Erlebnis-Zoo, zwei Museen, ein Wildnis-Abenteuer-Park, eine Bibliothek, eine Experimente-Werkstatt, ein Computer-Hypnose-Zentrum für die tollsten Traumreisen, ein Life-Centers für die konsumfreie Lebensgestaltung und und und... Sehr viele Menschen mögen jedoch am liebsten das gemeinsame Leben in den sogenannten Familienwohnparks. Das muss ich Ihnen bescheiben:
    In zusammengehörigen Wohneinheiten finden sich fünf bis fünfzehn Familien zusammen, die dort in einer gemeinschaftlichen »familiären« Nachbarschaft wohnen. Obwohl dazu meist sanierte Altbauten verwendet werden, denen man mit der Abrissbirne genügend umliegende Flächen hinzugefügt hat, ist Wohnungsnot seit der großen Katastrophe kein Thema mehr. 

Bei diesem weltweit sehr erfolgreichen Wohnmodell soll ein Ersatz für die Großfamilie entstehen, die in früheren Jahrhunderten den Menschen Heimat und Geborgenheit gab. So gibt es einen Stall mit ein paar Tieren, eine kleine Gartenwirtschaft, eine Energiestation und ein Elektro-Van, die gemeinsam unterhalten und genutzt werden. Wir haben derzeit zwei Kühe, zehn Hühner und zwei Islandpferde und züchten mit großem Erfolg Zucchini. Zudem gibt es immer einen oder mehrere Gemeinschaftsräume, die je nach Vorstellung als Freizeit-Treffpunkt oder als gemeinsames Esszimmer genutzt werden. Obwohl Lena, Jan, mein Mann und ich eine ganz normale private Wohnung haben, werden doch viele Dinge des Alltages gemeinsam bestritten: So teilen wir uns die Beaufsichtigung (und damit auch die Erziehung) der fünf Kinder unseres Parks und die Betreuung der drei pflegebedürftigen Alten. Wir waschen und putzen oder kochen auch einmal im Wechsel, um uns oder den Anderen dadurch Freiräume zu verschaffen. Da wir für unseren Vier-Personen-Haushalt weniger als 100 qm Wohnraum beanspruchen, fällt übrigens im Rahmen der staatlichen Grundversorgung keine Miete an. So ist eine ganz enge Gemeinschaft entstanden - eben fast wie eine Familie -, in der jeder für jeden da ist. Das gibt Lebenssinn, Halt in problematischen Zeiten und viele Möglichkeiten für gemeinsame Unternehmungen.

Übrigens gibt es erstaunlich wenige Probleme bei der Zusammensetzung der Bewohner. Die Menschen können sich offensichtlich wieder »besser riechen« als früher!
    Sie sehen, der Wohlstand ist heute mehr sozial als materiell gelagert, obwohl die modernen Technologien auch viele interessante Dinge zu bieten haben. Davon später mehr...
    Früher war es ein Zeichen von großem Wohlstand, wenn man oft Fleisch auf dem Teller hatte. Dies hat sich deutlich verändert. Gehen Sie mal mit mir einkaufen:

Am Wochenende soll es mal wieder einen schönen Braten geben. Das Fleisch dazu kaufe ich beim Fleischwirt. Dort werden die Tiere geboren, ökologisch aufgezogen, geschlachtet und verarbeitet. Wir essen heute etwa dreimal weniger Fleisch als früher. Auch, weil es mittlerweile eine Reihe wohlschmeckender Ersatzprodukte gibt, die man wie Fleisch verarbeiten kann. Die kleine Menge, die ich benötige, fällt noch unter den kostenlosen Grundbedarf. Ich brauche also nichts zu bezahlen. Das gleiche gilt für die ganzen Lebensmittel, die ich anschließend im staatlichen »Erwerbspark« einkaufe. Ich habe eine Reihe von Kunststoffdosen dabei, in die ich mir Mehl, Reis, Zucker und Bohnen abfülle. Danach fülle ich die Milchkanne und die Bierflasche an den entsprechenden Zapfstellen auf. Auf allen diesen Produkten ist ein roter Aufkleber, der signalisiert, dass ich soviel davon nehmen kann, wie ich möchte. Wenn Sie die Auslagen sehen könnten, wür den Sie wahrscheinlich staunen, denn neben den rund 20 Pflanzenarten, aus denen 90 % ihrer Nahrung besteht, werden heute fast 40 weitere Arten verwendet. Das sind jedoch keine Exoten aus fernen Ländern, sondern Pflanzen aus der gleichen Klimazone, die in Deutschland angebaut werden. Sie finden heute verschiedenste Sorten von Grassamen, die wie Getreide verwendet werden können, kultivierte Wildgemüse wie Scharbockskraut oder Edelnessel, dazu Farnwurzeln, Knollen, Blüten und Samen der unterschiedlichsten Pflanzen, die vormals aus Asien und Nordamerika eingeführt wurden. 

Fast alle Produkte, die ich brauche, stammen aus einem Umkreis von höchstens 300 km. In einer Abteilung des Supermarktes gibt es natürlich auch noch Waren aus Übersee wie Bananen, Kaffee oder Seefisch. Diese Dinge kosten jedoch alle eine Stange Geld und werden kaum verlangt. Es gibt ja genügend Ersatzprodukte, die im Land erzeugt werden und kostenlos zu haben sind. 
    So, das wäre es für die Küche. Nun gehe ich noch schnell in die Buchhandlung, um meine Sammlung echter antiker Papierbücher um einen Harry Potter zu bereichern. Wenn ich jedoch etwas modernes lesen möchte, dann greife ich zum Computer und lade mir aus dem Internet ein Buch auf mein e-book. Überhaupt hat sich die Computertechnik unglaublich weiterentwickelt! Die Hardware braucht nur noch 10% des früheren Strombedarfes und die Software strotzt nur so vor ungeahnten Möglichkeiten. Wenn ich ins Internet gehe, die Nachrichten abrufen möchte oder einen Brief schreibe, dann verwende ich dazu mein sprachgesteuertes Web-Handy, das jedem Weltbürger kostenlos zur Verfügung gestellt wird... Zeitungen oder Briefe auf Papier gibt es schon lange nicht mehr. Wir vernichten keine lebenden Bäume mehr für unsere Neugier! 
    Der Einkauf ist erledigt und ich schlendere gemütlich zurück nach Hause. Auf dem Weg begegnet mir Jan, der mir begeistert von der Organisation »Eine Welt - Ein Glaube« berichtet. Die versuchen, das komplette religiöse Wissen der Menschheit zu einem modernen Glauben zusammenzufassen und nutzen dazu »intercoole« Möglichkeiten, wie Jan sich ausdrückt. Na dann viel Spaß! 
    Wenn Sie nun noch etwas mehr über die technischen Möglichkeiten und Grenzen unseres Zeitalters erfahren möchten, dann gibt Ihnen mein Mann jetzt einen kleinen Einblick in diese Themen.

*) =    Nutzungsmodell, bei dem sich mehrere Leute ein Auto teilen (zurück zum Text)
 

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