... Heute steht die Menschheit vor der Frage nach ihrem bloßen
Überleben als Spezies Mensch. Die Lebensweise, die Inbegriff der westlichen
Zivilisation ist, befindet sich auf einem Todespfad, dem ihre eigene Kultur
keine lebensfähigen Antworten entgegenzusetzen hat. ... Die meisten
westlich orientierten Menschen ziehen es vor, (die) Zeichen (dieser
Entwicklung) nicht zu beachten. ... / ... Es ist die Perspektive des
ältesten Ahnen, der sich das Tun und Handeln eines kleinen Kindes
ansieht und feststellt, daß es unglaublich zerstörerische Dummheiten
anrichtet ...
[SOTSISOWAH
/ Seite 20 - 21 / 12]
Heute ist der 1. Januar 2100, der erste Tag eines neuen Jahrhunderts,
der Anbruch einer hoffentlich endgültig besseren Zeit für die
Menschheit! Ich bin Dozentin für Traditiologie an der Bergischen Universität
und lebe mit meinem Mann und unseren beiden Kindern Jan und Lena in Wuppertal.
Mein Mann arbeitet als Energie-Ingenieur bei der Schwebebahn-Export AG
und die Kinder gehen in die fünfte und sechste Klasse eines Gymnasiums.
Nach der gestrigen Sylvesterfeier haben wir den
ganzen Vormittag im Bett verbracht. Jetzt kitzeln uns die Sonnenstrahlen
in der Nase und locken uns zu einem kleinen Spaziergang. Ich werde einmal
nachsehen, ob Siwa und Indira Lust haben, uns zu begleiten. Das sind die
beiden Enkel der Klimaflüchtlinge aus Bangladesh, die bei uns wohnen.
Draußen ist es 17° C und ausnahmsweise
einmal windstill. In den letzten Wochen tobten wieder die üblichen
heftigen Winterstürme, die Mitteleuropa seit etwa vierzig Jahren jeden
Winter turbulente Wetterlagen bescheren. Zwei, drei Tage fällt Schnee
und die Temperaturen sinken weit unter den Gefrierpunkt. Plötzlich
schnellen sie wieder in die Höhe und es regnet wie aus Feuerwehrschläuchen.
Wären die ursprünglichen Auen des Rheins
in den letzten Jahrzehnten nicht wiederhergestellt worden, würde es
immer wieder zu verheerenden Überschwemmungen kommen. Doch diese Maßnahme
hat endlich Abhilfe geschaffen, obwohl wieder einmal zehntausende von Menschen
umziehen mussten.
Doch die weltweiten Überschwemmungen durch gestiegene Meere, Sturmfluten,
Starkregen oder auftauende Dauerfrostböden der Polargebiete sind nicht
das einzige Problem: Die Folgen der katastrophalen Klimaveränderung
lasten schwer auf der Welt. Es mutet wie ein schlechter Scherz an, dass
sich unten an der Wupper immer noch ein zerzaustes Palmenwäldchen
behauptet, dass ein Stadtgärtner vor dreißig Jahren dort angepflanzt
hat. Die Laubwälder rund um Wuppertal haben die Klimaveränderungen
bisher nur so gut überstanden, weil sie schon heute mit Arten bestückt
wurden, die ohnehin voraussichtlich in den nächsten Jahrhunderten
auf natürlichem Wege von Süden zugewandert wären.
Leider sind solche Maßnahmen nur hier und
da durchführbar. Viele deutsche Wälder stehen noch fast kahl
da und nur im Unterwuchs zeigt sich die Selbstheilungskraft der Natur in
vielen, bisher nicht heimischen Pflanzen und Sträuchern, die wie durch
ein Wunder überall emporschießen. Es spendet Trost, die unbändige
Kraft des Lebens am Werk zu sehen!
In den skandinavischen Ländern, wo die Erwärmung
am stärksten war, stehen regelmäßig riesige Waldflächen
in Flammen, wüten Schadinsekten in krankenden Bäumen und sind
bereits gewaltige Gebiete versteppt. Doch selbst in diesen »heißen
Krisengebieten« überrascht uns die Natur immer wieder mit unglaublichem
Widerstand! Ich habe es im letzten Urlaub selbst gesehen: Die strauchbestandene
Bergtundra wird in unglaublicher Geschwindigkeit von Moorbirken aus dem
Tiefland erobert und der ursprüngliche Fjällbirkenwald wandelt
sich zusehens in eine Nadelwaldtaiga. Die erwartete Mückenplage blieb
zu meiner Freude aus und die Tierwelt hat sich erstaunlich gut an die veränderten
Bedingungen angepasst. Nur der Fjällfuchs ist leider so gut wie ausgestorben.
Wenn es allerdings trotz der zuversichtlichen Vorhersagen
doch noch zu einer Verschiebung des Golfstromes kommt, dann gute Nacht!
Dann wird es in Mittel- und Nordeuropa wieder wesentlich kälter und
noch stürmischer werden - und die Folgen wären wieder einmal
katastrophal.
Eine andere Theorie einiger Wissenschaftler stimmt
sogar ein wenig optimistisch: Die ungewöhnlich starke weltweite Vulkantätigkeit
seit drei Jahren - die zu einer verstärkten Wolkenbildung geführt
hat - soll eine von der Erde selbst gesteuerte Maßnahme gegen eine
weitere Erwärmung sein. Wenn es tatsächlich stimmt, dass die
Natur solch einen Regelmechanismus hat, dann würde es nach weiteren
zehn bis fünfzehn Jahren anhaltender Vulkanausbrüche zu einem
Stopp der Temperaturerhöhung kommen. Hoffen wir das Beste!
Ach richtig: Da fällt mir ein, dass meine Worte
für Sie sicherlich ziemlich unverständlich sein müssen,
da Sie ja noch gar nicht wissen, was in den letzten hundert Jahren alles
passiert ist! Lassen Sie mich berichten:
(siehe Teil 2)
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