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Ebene 3 - Thema ausführlich: »Taoistische Philosophie, Teil 2«
Ist der Mensch gut oder böse?
Von Natur aus ist der Mensch gut, glauben die Taoisten. Das Böse entsteht nur durch mangelnde Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten der Welt [149]. Je mehr sich der Mensch von seiner natürlichen, kindlichen Gesinnung entfernt, je mehr er verändert, desto unharmonischer werden seine Ansichten und Handlungen. Um sich den ursprünglichen Zustand zu bewahren, ist der Mensch gehalten, sein Leben der großen Harmonie im Fluß der Zeit anzupassen, um mit den natürlichen Veränderungen mitzugehen und mit dem Sinn der Welt eins zu werden [150] - auch dieses »Mitgehen« steckt in dem Wort Tao. Hier ähnelt der Taoismus den Weltanschauungen der nordamerikanischen Indianer.

Können wir unser Handeln frei bestimmen?
Schicksal und Freiheit werden nach chinesischer Auffassung auch als Ge genspieler angesehen werden, die sich gegenseitig erzeugen. So ist unser Schicksal die unumgängliche Einbindung in das Gesetz des Tao mit der Freiheit, es zu erkennen - oder nicht zu erkennen - und dementsprechend zu handeln. So gesehen haben wir das Schicksal, gut zu sein, aber die Freiheit, gut oder böse zu sein.

Können wir die Welt oder die Menschen ändern?
Im Rahmen unserer Freiheit können wir die Welt ändern, jedoch ist die Gefahr groß, dass das Ergebnis nicht gut ist. Klüger ist für den Taoisten der Mensch, der mit dem Lauf der Dinge mitgeht wie ein junger Baum im Sturm und der nicht versucht, zu sehr in diesen Lauf einzugreifen. Diese Haltung des passiven »Nicht-Handelns« wird Wu-Wei genannt.

Wenn ja: Wie können wir etwas verändern?
Hier stehen uns alle Möglichkeiten offen, die wir jemals erfinden können. Die taoistische Lehre setzt unseren Fähigkeiten keine Grenzen. Sie rät uns nur, diese Fähigkeiten vorsichtig einzusetzen. Dennoch wird der Verstand hoch geschätzt, wie man z.B. unschwer an den Erfolgen traditioneller chinesischer Medizin erkennen kann, die dem Taoismus seit jeher nahesteht.
    Die Meditation, die im Buddhismus eine eine große Rolle auf dem Weg zu Erleuchtung spielt, wird von Taoisten weitaus zwangloser gesehen. Da jede extreme Handlung die Harmonie der Gegensätze stört, meditiert man nur solange es dem Wohlbefinden nicht schadet. Der Taoist glaubt, dass die letzte Erkenntnis nicht nur durch geistige Versenkung zu erlangen ist, sondern sich automatisch einstellt, wenn man bemüht ist, in wahrer Harmonie mit dem Lauf der Welt zu leben [151].

Gibt es eine richtige Art zu leben?
Der Taoist vertraut auf die Richtigkeit seiner natürlichen Veranlagungen, die man nicht künstlich unterdrücken oder verändern soll [152]. Die Moralbegriffe des Taoismus sind nicht als Gebote oder Gesetze formuliert. Moralisch richtiges Handeln entsteht automatisch durch den Versuch, dem Lauf der Dinge harmonisch zu folgen und die Gegensätze auszusöhnen. So heißt es im Tao-Te-King des LAO-TSE oftmals: »Der Berufene macht daher dies oder jenes« ... weil er einfach nur dem natürlichen Lauf der Dinge folgt, ohne ihn verändern zu wollen.

Was können wir über die Zukunft wissen?
Die taoistische Lehre ist eine sachliche Philosophie und geht daher sehr sparsam mit Aussagen über die Zukunft um. Das Nachher ist der Gegenspieler zum Vorher und wer vorher ein guter Mensch war, der kann sicher sein, das sich dies positiv auf das Nachher auswirken wird. Trotzdem ist der Lauf der Dinge nicht vorhersagbar, denn was benannt werden kann, ist nicht das Tao...
    Der Lauf der Dinge kann sich unerwartet ändern wie die Richtung, aus der der Wind weht. Es kommt nur darauf an, sich mit dem Wind zu drehen und alles ist gut. Der Taoismus kennt keine fest umrissene Wiedergeburtslehre wie der Buddhismus. Er beeinhaltet jedoch die Vorstellung, dass Geburt und Tod nur gegensätzliche Erscheinungen in der menschlichen Vorstellung sind, die über das wahre ewige Leben hinwegtäuschen.

Kritische Fragen
Wie ich erwartet hatte, hatten die Ranger vom Taoismus vorher noch nie etwas gehört. Yin und Yang waren zwar bekannte Begriffe, aber wohl eher als »esoterische Leihgabe«. Nachdem Anna »ihre« Weltsicht den Konferenzteilnehmern vorgestellt hatte, dauerte es eine Weile, bis die chinesischen Begriffe richtig einsortiert werden konnten. Ich hatte den Eindruck, diese so ungreifbaren Ausdrücke seien Grund genug, den Taoismus abzuwerten... Doch weit gefehlt! Zu meinem großen Erstaunen war das Urteil der Ranger durchweg positiv - sie waren sichtbar angetan von der chinesischen Gedankenwelt. Es schien allen sehr stimmig zu sein, logisch und gut durchdacht, nachvollziehbar, anschaulich, weitsichtig und durchaus auch auf die moderne Welt passend. Fast alle Ranger konnten sich in dieser Weltsicht gut wiederfinden.
    So blieben nur einige wenige kritische Fragen übrig:

  • Sind T´ai-Chi, Li, Wu-Chi oder Tao nicht Begriffe, die von westlichen Durchschnittsmenschen nur schwer verstanden werden?
  • Lässt die taoistische Lehre ihren Anhängern nicht zuviel Raum für ihre Freiheit im Denken und Handeln? Wer kann wirklich selbst entscheiden, ob sein Handeln der Harmonie des Tao entspricht? Läuft man nicht Gefahr, dass Fehlentwicklungen in der Gesellschaft unkritisch gebilligt werden, weil es dem »Lauf der Dinge« zu entsprechen scheint?
  • Kann die Lehre des Tao Hoffnung im Leben machen, also zu Trost und Seelenheil führen? Ist diese Weltanschauung demnach als Heilslehre geeignet?
Wir mussten bei den Aussagen der taoistischen Gelehrten unweigerlich an einige Vorfahren unserer europäischen Traditionen denken, die zu ähnlichen Gedanken gekommen waren und alles »Himmlische« in die Welt der Phantasie verwiesen hatten. Wer fällt Ihnen da ein? Nietzsche? Thales? Oder gar Marx? Jedenfalls bringen uns diese Überlegungen zu unserem nächstes Reiseziel:
    EUROPA

Vor uns liegt eine sehr lange Reise durch die Weiten Asiens gen Westen. Wir nutzen die Zeit, um über das Erlebte nachzudenken, vergleichen die Weisheiten, die wir kennengelernt haben, und schlafen schließlich ziemlich erschöpft ein.
 

Zitate

149 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 176] ... Der konfuzianischen (Anm.: und taoistischen) Ethik liegt der Gedanke zugrunde, daß der Mensch von Natur aus gut ist und daß alles Böse an ihm durch mangelnde Einsicht entstanden ist. ...
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150 = [WATTS / Lit. 1, Seite 39] ... Die uralte Philosophie des Tao (besteht) darin, dem Lauf, der Strömung, dem »Strich« der Naturphänomene geschickt und intelligent zu folgen und das menschliche Leben als einen integralen Bestandteil des ganzen Weltprozesses zu sehen, nicht als etwas Fremdes, ihm Entgegengesetztes. ...
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151 = [WATTS / Lit. 1, Seite 132 - 134] ... Was sollen wir also von der ... Tradition der Meditationsübungen ... halten, deren angebliches Ziel das kosmische Bewußtsein oder übernatürliche Kräfte sind? ... Wenn wir uns an die frühen Ch´an-Schriften ... halten..., steht wohl außer Frage, daß die frühen Ch´an-Lehrer ... den Meditationsübungen nicht nur keinen besonderen Wert beimaßen, sondern sie oft als irrelevant abtaten. ... - als ob der Wert einer Inspiration oder Intuition nach dem rein quantitativen Maß der dafür aufgewendeten Zeit und Energie beurteilt werden könnte. Wie lange braucht ein Kind, um zu wissen ,daß Feuer heiß ist? ... Taoisten werden gern mit Yogis oder Zen-Anhängern sitzen (Anm.: meditieren), solange sie es vernünftig und angenehm finden... Taoisten betrachten die Meditation nicht als »Übung« außer in dem Sinn, wie ein Arzt die Medizin »ausübt«. Es liegt ihnen fern, das Universum durch Gewalt oder Willenskraft unterwerfen oder verändern zu wollen, ...
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152 = [WATTS / Lit. 1, Seite 171] ... Die Sinne, Gefühle und Gedanken müssen sich spontan äußern dürfen (..) im Vertrauen darauf, daß sie sich dann harmonisch ordnen werden. Der Versuch, das Gemüt mit Gewalt zu kontrollieren, ist so, als wollte man Wellen mit einem Brett glätten, und kann nur noch mehr Aufruhr zur Folge haben. ...
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