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Ebene 3 - Thema ausführlich: »Taoistische Philosophie, Teil 1«
[Texte zusammengestellt aus: GLASENAPP, LAOTSE, LEX.PHIL, LEX.SEKT., WATTS] Der Text wurde von Alexander Blazic auf sachliche Richtigkeit überprüft (Student, der sich seit Jahren intensiv mit dem Taoismus beschäftigt)


LAO-TSE war der gedankliche Vater der taoistischen Philosophie
und ZHANG DAOLING gilt als Begründer der Tao-Religion.
Weltbekannt ist das taoistische Yin-Yang-Symbol

Nachdem wir das himmelhohe Himalaya-Gebirge hinter uns gelassen haben, durch endlose Steppen und karge Wüsten gefahren sind, gelangen wir schließlich in das Innerste Asiens zu den emsigen, ewig lächelnden Chinesen. Gleich im ersten Dorf treffen wir auf eine Gruppe Menschen, die auf einem großen Platz stehen und sich im Zeitlupentempo anmutig fließend bewegen. Doch es ist weder ein Tanz - denn keine Musik untermalt das Schauspiel - noch eine pantomimische Vorführung. Fasziniert sehen wir der Darbietung bis zum Ende zu. Dann löst sich ein älterer Mann mit einem dünnen Spitzbart aus der Gruppe und begrüßt uns herzlich. Er liest uns sogleich unsere Fragen vom Gesicht ab und erklärt uns, dass das, was wir soeben beobachtet haben, T´ai-Chi gewesen sei, eine Bewegungsmeditation, die das Einssein mit dem Universum erlebbar machen soll. Und eh wir uns versehen, sitzen wir gemeinsam in einem hellen Haus auf dem Boden und Herr Wu erzählt uns vom Tao, der wahren Ursache von Sein und Nichtsein.

Geschichte
Taoismus kommt von »Tao«, dem wesentlichsten Begriff dieser Weltanschauung, die etwa vor 2.300 Jahren in der »Lehre vom Tao« niedergeschrieben wurde. Das grundlegendste Buch der Tao-Philosophie - das Tao-Te-King - stammt von LAO-TSE (auch Lao-Tzu), neben KONFUZIUS derbekannteste Weise Chinas. Um LAO-TSE ranken sich viele Legenden und einige Historiker bestreiten, dass er wirklich gelebt hat. Seit LAO-TSE nach dem Volksglauben dem Einsiedler ZHANG DAOLING im Jahre 142 als Gott erschien, wird er ähnlich dem BUDDHA vergöttlicht. ZHANG begründete daraufhin den religiösen Taoismus, der jedoch sehr stark an den uralten chinesischen Volksglauben anlehnte.
    Viele taoistische Vorstellungen stammen nachweislich aus viel älteren chinesischen Lehren. Schon vor der Entstehung der taoistischen Religion wurde die philosophische Lehre von vielen anderen Lehren beeinflusst. So hat besonders das Denken des Konfuzianismus und des Buddhismus deutliche Spuren hinterlassen. Der japanische Zen-Buddhismus ist direkt aus der Verbindung der taoistischen mit der buddhistischen Lehre entstanden.
    Auch nach ZHANG DAOLING gab es verschiedene taoistische Schulen, die die philosophischen Aussagen der Lehre mit religiösen Glaubenssätzen und der Offenbarung des LAO-TSE verbanden. Eine Vielzahl von unterschiedlichsten Sekten entstand, die jedoch eher der ritenreichen, chinesischen Volksreligion zugehörig sind, als der ursprünglichen Philosophie des Tao.

Vor der kommunistischen Ära Chinas war taoistisches Gedankengut auch bei den weltlichen Herrschern hoch angesehen. In der frühesten Zeit unterschied man nicht zwischen Wissenschaft, Philosophie und Religion. Die gesamte chinesische Kultur war geprägt von der »Staatsphilosophie« des KONFUZIUS und der »Lebensphilosophie« des LAO-TSE. Die berühmte chinesische Medizin und wesentliche Elemente typisch chinesischer Lebensart entspringen dieser alten Verbindung.
    Seit der Kommunismus die verordnete Weltanschauung der Chinesen wurde und die westliche Wissenschaft und Lebensweise Einzug hielt, hat der religiöse Taoismus viel an Bedeutung verloren. Die philosophischen Lehrsätze genießen jedoch weiterhin großes Ansehen.
    In jüngster Zeit entliehen sich die Anhänger des New Age einiges aus der taoistischen Philosophie und bauten es in ihre Denkgebäude ein.
 
 

Was können wir über die Welt wissen?
Über den Anbeginn der Welt gibt es in den taoistischen Sekten ganz unterschiedliche Vorstellungen, die von einer Schöpfung durch einen Hochgott über eine dem Himmel innewohnende, geistige Intelligenz bis hin zu einem unpersönlichen, universellen Weltgesetz (genannt »Tao«) reicht. In der von den Naturreligionen stark beeinflusste taoistische Religion des chinesischen Volkes wimmelte es von zahlreichen magischen Wesen, Göttern und Dämonen. Von daher neigten ihre Anhänger zu einer einfachen »gottgegebenen« Erklärung der Welt.
    Von den taoistischen Philosophen dagegen wurde ein Gott verneint oder zumindest als wertlose Annahme umgangen - da weder beweisbar noch wiederlegbar.
    Über die Entwicklung des Universums besteht jedoch in allen Schulen eine weitgehende Übereinstimmung. Demnach durchläuft das All einen ewig währenden Kreislauf von einer Weltzeit zur nächsten:
    Am Anfang einer jeden Weltzeit steht der »Nichts-Anfang« (Wu-chi). Hier ist das ganze Universum eine bloße Möglichkeit etwas zu werden, völlig masselose reine Information - vergleichbar mit der Null - aber dennoch kein absolutes Nichts! Das ewige Gesetz des Tao ließ dann daraus den »Uranfang« (T´aichi oder Li genannt) entstehen [145].
    Doch was ist nun das »Tao« selbst, das der ganzen Denkweise seinen Namen gegeben hat? Es ist ein behelfsmäßiges Wort für das »Große Geheimnis«, für den Weg oder den Sinn der Welt - für den es kein Wort geben kann; weil er sich unserem begrenzten Verständnis entzieht. Alan WATTS, ein moderner Tao-Lehrer, hat es mit CHUANG-TZU und LAO-TSE folgendermaßen ausgedrückt [WATTS / Lit. 1, Seite 73 - 74]:

... das Tao (ist) mit Sicherheit die höchste Wirklichkeit und Kraft des Universums, der Grund von Sein und Nichtsein. (CHUANG-TZU:) Das Tao ist wirklich und nachweisbar, doch untätig und ohne Form. ... Es ist erreichbar, aber nicht sichtbar. Es existiert in sich und durch sich selbst. Es war vor Himmel und Erde und wird in alle Ewigkeit sein. Es verlieh ... der Welt ihr Dasein. ... Obwohl es früher da war als Himmel und Erde, ist es doch nicht aus der Vorzeit. Obwohl es älter ist als das Urälteste, ist es doch nicht alt. ... (LAO-TSE:) (Tao ist) ruhig, still, es steht allein ohne Wandel, ... Es könnte die Mutter aller Dinge sein. Ich weiß seinen Namen nicht und nenne es Tao. ... das Tao (tut) nichts und läßt doch nichts ungetan. ... (WATTS:) (Es ist) weder eine Idee noch ein Begriff ... (Es ist) spürbar, aber nicht denkbar; intuitiv faßbar, aber nicht analysierbar; zu erahnen, aber nicht zu erklären. ... [WATTS / Lit. 1, Seite 73 - 74]

Durch das Tao »wurde« nun aus dem ruhenden Wu-chi ein sich veränderndes Universum, in dem die beiden Urgewalten »Yin und Yang« als schaffende Energien wirksam sind [146].
    Beim Uranfang bildeten Yin und Yang noch eine Einheit, da beide Kräfte zwar Gegenspieler, aber unabdingbar voneinander abhängig sind. »Yin« wird als negative, weiblich-passive Kraft beschrieben und »Yang« als positive, männlich-aktive. Ihr gemeinsames Wirken in stetiger Ablösung erzeugte schließlich die Vielheit der sichtbaren Welt. Als erste materielle Erzeugungen der beiden Kräfte entstanden Himmel (aus Yin) und Erde (aus Yang), die Grundbausteine des Universums [147].
    Für die Chinesen ist das Universum ein gigantischer, lebendiger Organismus, der in ständigem Wandel begriffen ist und dessen Einzelglieder sich alle gegenseitig beeinflussen [148]. Stirbt dieser Organismus, ist ein Weltzeitalter zu Ende und ein neues beginnt.
    Die Vielheit ist durch das Wirken der Yin- und Yangkräfte gekennzeichnet, die in einem Netz von Gegensätzen wie gut und böse, lang und kurz, Nord und Süd oder vorher und nachher erscheinen. Diese allgegenwärtige Gegenpoligkeit in der Welt ist ein entscheidender Grundsatz des Taoismus. Sind die Gegenspieler - die sich in inniger Wechselwirkung gegenseitig erzeugen - harmonisch aufeinander abgestimmt, ist die Welt in Ordnung.
 
 

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Zitate

145 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 146] ... Diese »T'aichi«, d. h. »Uranfang«, genannte Figur repräsentiert den Zustand des Universums, in welchem die positive und die negative Urkraft sich schon getrennt haben. Diesem Zustand geht ein anderer (Wu-chi, d. h. Nichts-Anfang) vorher, in welchem alle Unterschiede noch ungeschieden nebeneinander vorhanden sind. Er wird durch einen einfachen Kreis versinnbildlicht. Dieser Zustand des Alls ist nicht der des absoluten Nichtseins, sondern der eines potentiellen, noch nicht in die Erscheinung getretenen Seins, er bildet den notwendigen Ruhepunkt zwischen zwei Perioden des Weltbestandes, ...
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146 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 184] ... die Welt (besteht) aus Li, einem geistigen Prinzip, der Vernunft, und Ch'i, dem materiellen Prinzip, der luftförmigen Substanz. Dem ersteren von beiden gebührt der Vorrang, es gilt auch als die Quelle der fünf Tugenden. Li ist unsichtbar, unbegrenzt und Quelle der Einheit, Ch'i ist sichtbar, begrenzt und Ursache der Vielheit. Es gibt kein absolutes Nichts. Auch in der großen Leere hat die Materie immer existiert, aber im Zustande völliger Ruhe, erst durch Li kam sie in Bewegung. Li und Ch'i sind seit Ewigkeit vereint und bildeten zuerst die große Einheit T'ai-Chi. Nach einer Weltperiode kehrt die Welt zum Chaos zurück, und der Weltprozess beginnt von neuem. T'ai-chi (Uranfang) ist nur ein anderer Name für Li und wird auch Wu-chi (Anfang des Nichts) genannt, was aber kein absolutes Nichts bedeutet sondern ein nur noch nicht in Erscheinung getretenes, noch nicht wahrnehmbares Sein. Indem die Materie, von der Vernunft bewegt, sich in Bewegung setzt, entstehen die beiden Erscheinungsformen Yin und Yang, die ... als ruhende und bewegte Materie aufgefaßt werden, und aus ihren verschiedenen Mischungen entstehen die fünf Elemente. 
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147 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 154] ... Das Weltall besteht aus Himmel und Erde. Der erstere ist ein männliches Yang-Wesen, die letztere ein weibliches Yin-Wesen, er ist der Vater, sie die Mutter der »zehntausend Dinge«. Durch ihr Zusammenwirken bringen sie die Jahreszeiten und die organische Welt hervor, die sich später durch ihren Samen weiter fortpflanzt. Der Himmel ist Geist (luftartig), die Erde Körper. Der Himmel ist in unaufhörlicher Bewegung, die Erde in beständiger Ruhe, ...
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148 = [WATTS / Lit. 1, Seite 76 - 77] ... Die Grundlage der taoistischen Weltanschauung ist jedoch, daß jedes Ding-Geschehen (...) nur in Beziehung zu allen anderen ist, was es ist. Die Erde und das kleinste Ding auf ihr »geht« notgedrungen »mit« der Sonne, dem Mond und den Sternen. Es bedarf ihrer so sehr, wie es seiner eigenen Elemente bedarf, woraus es besteht. ... Das ist das Prinzip des »gegenseitigen Erzeugens«... Mein Innen und mein Außen bedingen sich gegenseitig, und obwohl sie verschieden sind, kann man sie nicht trennen. Daher ist der »eigene Weg« jedes einzelnen der »eigene Weg« des Universums, des Tao. ...
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