Ist der Mensch gut oder böse?
Jeder Mensch kann ein Erleuchteter werden, ist also von Natur aus gut.
Doch wo es das Gute gibt, muss es auch das Böse als seinen Gegenspieler
geben. Das Böse im Menschen entsteht aus Unkenntnis der Daseinsfaktoren
und ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten. Etwas absolut Böses
würde sich selbst zerstören.
Können wir unser Handeln frei bestimmen?
Der Lebensweg aller Kreaturen ist unabänderlich dem Gesetz des
Karmas unterworfen und somit für die niedrigeren Daseinsbereiche (wie
z.B. der Tiere) kaum zu beeinflussen. Erst der Mensch ist in der Lage,
durch den sogenannten »Achtfachen Pfad« [139]
stufenweise zur Erkenntnis
der Wirklichkeit zu gelangen und somit sein Handeln wirklich frei zu bestimmen.
Zuerst einmal gilt jedoch: Der Grund für unsere Handlungen ist
Dummheit. Sind die Handlungen (die aus dieser Dummheit folgen),
einmal vollzogen, folgen ihnen die Auswirkungen wie ein Schatten.
Können wir die Welt oder die Menschen ändern?
Buddhisten liegt sehr viel an der Verringerung des Leides anderer Wesen.
Dennoch können sie vorrangig nur ihr eigenes Leben beeinflussen. BUDDHAs
Lehre ist eine sehr persönliche Anweisung für das rechte Leben,
die von jedem Buddhisten selbst erarbeitet werden muss. Wir haben die
Wahl, denn wir sind selbst diejenigen, die sich ihre Welt erschaffen. Unsere
Handlungen bestimmen, was wir in der Zukunft erleben werden.
Jeder gute Buddhist soll weder den Büchern
noch den Lehrern zu viel vertrauen, sondern in erster Linie seiner eigenen
Erkenntnisfähigkeit. Trotz der scheinbaren Verachtung des diesseitigen
leidvollen Lebens strahlen Buddhisten eine tief wurzelnde Heiterkeit aus,
die sicherlich mit der Einstellung zusammenhängt, »über
den Dingen« zu stehen. Das macht sie unangreifbar für Verletzungen
des Geistes
und fördert nicht den Lebensdurst, aber den Lebensmut!
Wenn ja: Wie können wir etwas verändern?
Es braucht schon mehr als gute Vorsätze, um etwas zu ändern.
Wenn wir negative Taten und selbstsüchtige Handlungen - die die Wesen
schädigen und Leid bringen - aufheben, vermeiden wir eigenes Leid.
Handeln wir stattdessen mit Liebe und Mitgefühl, achten auf das Glück
der Anderen, schätzen es hoch und fördern es, werden wir in der
Zukunft das Glück erleben, das wir uns wünschen. Die stärkste
Kraft, die wir haben, ist die Kraft unserer Wünsche. Der edle achtfache
Pfad ist BUDDHAS
Hilfestellung dazu.
Das höchste Ziel der endgültigen Buddhaschaft - also die Erleuchtung
und das Ausscheiden aus dem Kreislauf der Wiedergeburten [140]
[141] - ist jedoch nur zu erreichen,
wenn in tiefer Meditation das klare, innerste Bewußtsein die Wirklichkeit
hinter dem Schein der Welt gefühls- und gedankenleer unmittelbar erfährt.
Im Gegensatz zu den anderen Religionen gibt es in
der ursprünglichen buddhistischen Philosophie keine bedeutungsvollen
Kulthandlungen [142]. Diese Nüchternheit
verhinderte allerdings auch die Ausbreitung der unverfälschten Lehre
als breiter Volksglauben.
Zur modernen Wissenschaft haben Buddhisten ein offenes
Verhältnis, da auch in ihren Lehren die Logik
und die Wahrheitsfindung
eine entscheidende Bedeutung haben. So sind Buddhisten in der Regel eher
als Anhänger anderer Religionen bereit, wissenschaftliche Erkenntnisse
anzunehmen und mit der Lehre BUDDHAs
zu verbinden [143].
Gibt es eine richtige Art zu leben?
Mit dem »Achtfachen Pfad« bekommt der Buddhist eine Reihe
von Ratschlägen auf seinem Weg zur Erkenntnis. BUDDHA lehrt keine
Moral, sondern »wie die Dinge sind«. Jeder bestimmt selbst,
was geschieht. Immer darauf bedacht, nur gutes Karma anzusammeln,
wird gar der Gedanke an etwas Böses geächtet und negativer bewertet
als eine Tat mit gutem Gewissen, die negative Auswirkungen hat. Aufgrund
eines fehlenden göttlichen »Sündenbereinigers« verlangt
die buddhistische Lehre mehr Eigenverantwortlichkeit von seinen Anhängern
als das Christentum [144].
Bedeutend ist übrigens die Einbeziehung aller
Lebewesen in die Philosophie der Buddhisten! Schließlich könnte
man zum Beispiel einem Tier, das man schlachtet, durch die Tötung
eine neue, noch leidvollere Existenz auferlegen. So würde das Erwachen
zur Buddhaschaft sowohl bei dem Tier, als auch bei einem selbst unnötig
herausgezögert.
Was können wir über die Zukunft wissen?
Erleuchtung für alle, die sich auf den langen Weg zur Erleuchtung
begeben und nie endendes Leid für alle, die es nicht tun! Für
jeden steht am Ende die Befreiung vom Leid und das Erleben großer
Freude. Wann das jedoch sein wird, hängt vom Einzelnen ab.
Kritische Fragen
Obwohl die buddhistische Lehre für fast alle Ranger ein neues
Feld war, faszinierte sie diese Gedanken sehr. Alle hatten ausnahmslos
den Eindruck, dass diese Weltanschauung im wahrsten Sinne des Wortes keine
Frage offenließ - zumindest für die gelehrten Buddhisten. Über
die messerscharfe Logik und die daraus folgenden erstaunlichen Schlussfolgerungen
herrschte allgemeine Bewunderung.
Und sicherlich ist es kein Wunder, das man statt
mit überlegten Gegenargumenten vorerst nur mit einem Achselzucken
antworten kann, wenn man erstmals mit der Idee der Wiedergeburt konfrontiert
wird
Die Offenheit für die Naturwissenschaften und
die entsprechenden Parallelen lösten einiges Staunen aus. Doch vor
allem der Gedanke, dass jede unserer Handlungen eine Wirkung auf das Universum
und auf die eigene Existenz - über den Tod hinaus - haben soll, brachte
die Ranger zum Nachdenken.
Trotz aller Bewunderung fanden sich auch einige
kritische Fragen:
-
Ist die buddhistische Lehre nicht zu kompliziert für den Durchschnittsmenschen?
Kann ihre logische Vernetzung auch noch von Menschen verstanden werden,
die sich aus Zeitgründen nicht ständig mit der Lehre beschäftigen
können? Fordert sie nicht zuviel Disziplin vom Einzelnen?
-
Kann ein westlich erzogener Mensch aufgrund ihrer vollkommen anderen Lebenserfahrung
wirklich Erleuchtung erlangen?
-
Was bedeutet überhaupt Erleuchtung? Ist solch eine Erfahrung, von
der niemand sagen kann, was sie wirklich bedeutet, ein erstrebenswertes
Ziel für eine moderne Weltanschauung?
-
Klingt es nicht lebensverneinend und total pessimistisch, alles nur als
leidvoll anzusehen und das endgültige Erlöschen als oberstes
Ziel anzustreben? Kann diese Einstellung den Gläubigen nicht eher
zur Verzweiflung bringen als ihm Mut zu machen? (Ganz im Gegenteil hört
man erstaunlicherweise immer wieder, dass Buddhisten gern lachen und durchweg
lebensfrohe Menschen sind.)
Noch bevor wir Antworten auf diese Fragen suchen können, geht unsere
Reise schon weiter, der Bus steht abfahrtbereit unter dem Potala-Palast
in Lhasa. Erfüllt und verwirrt zugleich steigen wir ein und begeben
uns auf die beschwerliche Reise ins Reich der Mitte. Finden wir hier das
Wissen für den Entwurf eines »mittleren« Welthauses?
Zitate
139 = [GLASENAPP
/ Lit. 1, Seite 82] ... zur Voraussetzung die Kenntnis der vier edlen Wahrheiten
über das Leiden, die Entstehung des Leidens, die Aufhebung des Leidens
und den zur Aufhebung des Leidens führenden Pfad. Leidvoll ist alles,
was durch den Lebenshang bedingt ist, die Ursache des Leidens ist der Durst,
die Gier, die Aufhebung des Leidens geschieht durch das Sichbefreien von
Durst, der praktische Weg dazu ist der edle achtfache Pfad: rechte Anschauung,
rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes
Streben, rechtes Überdenken, rechtes Sichversenken. ...
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140 = [GLASENAPP
/ Lit. 1, Seite 74] ... (Buddha bedeutet) der »Erwachte«
und besagt damit, daß jemand ... aus der Nacht des Irrtums zum Lichte
der Erkenntnis erwacht ist. Das Wesen eines Buddha besteht darin, daß
er aus eigener Kraft sein Wissen erlangt hat, dieses also weder durch die
Offenbarung eines Gottes noch durch das Studium heiliger Schriften oder
durch die Unterweisung eines Lehrers gewann. ...
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141 = [LAMA
/ Lit. 2, Seite 81] ... Letztlich wenn alle fünf Sinnesorgane (hinsichtlich
ihrer Tätigkeit) ruhen und
(der) sechste Sinn (d.
h. die etwas oberflächlichere Schicht des Bewusstseins) ebenfalls
immer feinfühliger wird, tritt der höchste, innerste und subtilste
Teil des Geistes in eine Art Vereinigung mit der Leere. ...
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142 = [GLASENAPP
/ Lit. 1, Seite 141] ... Die Geschichte des Buddhismus zeigt, daß
eine Heilslehre, welche auf eine farbenprächtige mythologische Einkleidung
und auf einen prunkvollen Kultus bewußt verzichtet, stets nur eine
aristokratische Weisheitslehre für wenige sein kann. Den religiösen
Bedürfnissen der großen Massen kann sie nur im begrenzten Umfange
Genüge tun. Der Buddhismus mußte daher diesen entweder dadurch
entgegenkommen, daß er den bisherigen Kultus der Religionen, welche
vor ihm da waren, bestehen ließ, oder daß er selbst bei sich
die Andachtsformen und sakralen Zeremonien einführte. ...
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143 = [LAMA
/ Lit. 1, Seite 31] ... Wenn die Wissenschaft etwas als nicht-existent
erkennt, muß dies auch ein Buddhist zwangsläufig als nicht-existent
anerkennen; doch wenn die Wissenschaft etwas nur nicht finden kann, liegen
die Dinge ganz anders. Es ist offensichtlich, daß es sehr viel Mysteriöses
gibt. Die Menschen können einen bestimmten Bereich wahrnehmen, aber
wir können nicht behaupten, daß es nichts gibt, was außerhalb
des mit unseren fünf Sinnen Wahrnehmbaren liegt. Wir sehen zum Beispiel
heutzutage manches, das unsere Großeltern mit ihren Augen noch nicht
wahrnehmen konnten. ...
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144 = [GLASENAPP
/ Lit. 1, Seite 82 - 83] ... So zerfielen die Anhänger Buddhas von
jeher in zwei Gruppen: 1. in die Laien, welche im Rahmen ihrer weltlichen
Betätigung und ihres Familienlebens die fünf Gebote: nicht zu
morden, nicht zu stehlen, nicht zu lügen, nicht die Ehe zu brechen
und nicht berauschende Getränke zu sich zu nehmen beobachteten und
2. in die Mitglieder des »Sangha« (Ordens), ... welche
diese Vorschriften in verschärfter Form durch Bewahrung völliger
Keuschheit und Armut sowie durch Einhaltung bestimmter asketischer Regeln
befolgten. ... Es ist notwendig sich zu vergegenwärtigen, daß
dieser Gradualismus zu allen Zeiten ein Grundprinzip des Buddhismus wie
aller auf der Wiederverkörperungslehre basierenden Systeme war. ...
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