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Ebene 3 - Thema ausführlich: »Buddhistische Philosophie, Teil 2«
Ist der Mensch gut oder böse?
Jeder Mensch kann ein Erleuchteter werden, ist also von Natur aus gut. Doch wo es das Gute gibt, muss es auch das Böse als seinen Gegenspieler geben. Das Böse im Menschen entsteht aus Unkenntnis der Daseinsfaktoren und ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten. Etwas absolut Böses würde sich selbst zerstören.

Können wir unser Handeln frei bestimmen?
Der Lebensweg aller Kreaturen ist unabänderlich dem Gesetz des Karmas unterworfen und somit für die niedrigeren Daseinsbereiche (wie z.B. der Tiere) kaum zu beeinflussen. Erst der Mensch ist in der Lage, durch den sogenannten »Achtfachen Pfad« [139] stufenweise zur Erkenntnis der Wirklichkeit zu gelangen und somit sein Handeln wirklich frei zu bestimmen. Zuerst einmal gilt jedoch: Der Grund für unsere Handlungen ist Dummheit. Sind die Handlungen (die aus dieser Dummheit folgen), einmal vollzogen, folgen ihnen die Auswirkungen wie ein Schatten.

Können wir die Welt oder die Menschen ändern?
Buddhisten liegt sehr viel an der Verringerung des Leides anderer Wesen. Dennoch können sie vorrangig nur ihr eigenes Leben beeinflussen. BUDDHAs Lehre ist eine sehr persönliche Anweisung für das rechte Leben, die von jedem Buddhisten selbst erarbeitet werden muss. Wir haben die Wahl, denn wir sind selbst diejenigen, die sich ihre Welt erschaffen. Unsere Handlungen bestimmen, was wir in der Zukunft erleben werden.
    Jeder gute Buddhist soll weder den Büchern noch den Lehrern zu viel vertrauen, sondern in erster Linie seiner eigenen Erkenntnisfähigkeit. Trotz der scheinbaren Verachtung des diesseitigen leidvollen Lebens strahlen Buddhisten eine tief wurzelnde Heiterkeit aus, die sicherlich mit der Einstellung zusammenhängt, »über den Dingen« zu stehen. Das macht sie unangreifbar für Verletzungen des Geistes und fördert nicht den Lebensdurst, aber den Lebensmut!

Wenn ja: Wie können wir etwas verändern?
Es braucht schon mehr als gute Vorsätze, um etwas zu ändern. Wenn wir negative Taten und selbstsüchtige Handlungen - die die Wesen schädigen und Leid bringen - aufheben, vermeiden wir eigenes Leid. Handeln wir stattdessen mit Liebe und Mitgefühl, achten auf das Glück der Anderen, schätzen es hoch und fördern es, werden wir in der Zukunft das Glück erleben, das wir uns wünschen. Die stärkste Kraft, die wir haben, ist die Kraft unserer Wünsche. Der edle achtfache Pfad ist BUDDHAS Hilfestellung dazu.

Das höchste Ziel der endgültigen Buddhaschaft - also die Erleuchtung und das Ausscheiden aus dem Kreislauf der Wiedergeburten [140] [141] - ist jedoch nur zu erreichen, wenn in tiefer Meditation das klare, innerste Bewußtsein die Wirklichkeit hinter dem Schein der Welt gefühls- und gedankenleer unmittelbar erfährt.
    Im Gegensatz zu den anderen Religionen gibt es in der ursprünglichen buddhistischen Philosophie keine bedeutungsvollen Kulthandlungen [142]. Diese Nüchternheit verhinderte allerdings auch die Ausbreitung der unverfälschten Lehre als breiter Volksglauben.
    Zur modernen Wissenschaft haben Buddhisten ein offenes Verhältnis, da auch in ihren Lehren die Logik und die Wahrheitsfindung eine entscheidende Bedeutung haben. So sind Buddhisten in der Regel eher als Anhänger anderer Religionen bereit, wissenschaftliche Erkenntnisse anzunehmen und mit der Lehre BUDDHAs zu verbinden [143].

Gibt es eine richtige Art zu leben?
Mit dem »Achtfachen Pfad« bekommt der Buddhist eine Reihe von Ratschlägen auf seinem Weg zur Erkenntnis. BUDDHA lehrt keine Moral, sondern »wie die Dinge sind«. Jeder bestimmt selbst, was geschieht. Immer darauf bedacht, nur gutes Karma anzusammeln, wird gar der Gedanke an etwas Böses geächtet und negativer bewertet als eine Tat mit gutem Gewissen, die negative Auswirkungen hat. Aufgrund eines fehlenden göttlichen »Sündenbereinigers« verlangt die buddhistische Lehre mehr Eigenverantwortlichkeit von seinen Anhängern als das Christentum [144].
    Bedeutend ist übrigens die Einbeziehung aller Lebewesen in die Philosophie der Buddhisten! Schließlich könnte man zum Beispiel einem Tier, das man schlachtet, durch die Tötung eine neue, noch leidvollere Existenz auferlegen. So würde das Erwachen zur Buddhaschaft sowohl bei dem Tier, als auch bei einem selbst unnötig herausgezögert.

Was können wir über die Zukunft wissen?
Erleuchtung für alle, die sich auf den langen Weg zur Erleuchtung begeben und nie endendes Leid für alle, die es nicht tun! Für jeden steht am Ende die Befreiung vom Leid und das Erleben großer Freude. Wann das jedoch sein wird, hängt vom Einzelnen ab.

Kritische Fragen
Obwohl die buddhistische Lehre für fast alle Ranger ein neues Feld war, faszinierte sie diese Gedanken sehr. Alle hatten ausnahmslos den Eindruck, dass diese Weltanschauung im wahrsten Sinne des Wortes keine Frage offenließ - zumindest für die gelehrten Buddhisten. Über die messerscharfe Logik und die daraus folgenden erstaunlichen Schlussfolgerungen herrschte allgemeine Bewunderung.
    Und sicherlich ist es kein Wunder, das man statt mit überlegten Gegenargumenten vorerst nur mit einem Achselzucken antworten kann, wenn man erstmals mit der Idee der Wiedergeburt konfrontiert wird
    Die Offenheit für die Naturwissenschaften und die entsprechenden Parallelen lösten einiges Staunen aus. Doch vor allem der Gedanke, dass jede unserer Handlungen eine Wirkung auf das Universum und auf die eigene Existenz - über den Tod hinaus - haben soll, brachte die Ranger zum Nachdenken.
    Trotz aller Bewunderung fanden sich auch einige kritische Fragen:

  • Ist die buddhistische Lehre nicht zu kompliziert für den Durchschnittsmenschen? Kann ihre logische Vernetzung auch noch von Menschen verstanden werden, die sich aus Zeitgründen nicht ständig mit der Lehre beschäftigen können? Fordert sie nicht zuviel Disziplin vom Einzelnen?
  • Kann ein westlich erzogener Mensch aufgrund ihrer vollkommen anderen Lebenserfahrung wirklich Erleuchtung erlangen?
  • Was bedeutet überhaupt Erleuchtung? Ist solch eine Erfahrung, von der niemand sagen kann, was sie wirklich bedeutet, ein erstrebenswertes Ziel für eine moderne Weltanschauung?
  • Klingt es nicht lebensverneinend und total pessimistisch, alles nur als leidvoll anzusehen und das endgültige Erlöschen als oberstes Ziel anzustreben? Kann diese Einstellung den Gläubigen nicht eher zur Verzweiflung bringen als ihm Mut zu machen? (Ganz im Gegenteil hört man erstaunlicherweise immer wieder, dass Buddhisten gern lachen und durchweg lebensfrohe Menschen sind.)
Noch bevor wir Antworten auf diese Fragen suchen können, geht unsere Reise schon weiter, der Bus steht abfahrtbereit unter dem Potala-Palast in Lhasa. Erfüllt und verwirrt zugleich steigen wir ein und begeben uns auf die beschwerliche Reise ins Reich der Mitte. Finden wir hier das Wissen für den Entwurf eines »mittleren« Welthauses?
 
 

Zitate

139 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 82] ... zur Voraussetzung die Kenntnis der vier edlen Wahrheiten über das Leiden, die Entstehung des Leidens, die Aufhebung des Leidens und den zur Aufhebung des Leidens führenden Pfad. Leidvoll ist alles, was durch den Lebenshang bedingt ist, die Ursache des Leidens ist der Durst, die Gier, die Aufhebung des Leidens geschieht durch das Sichbefreien von Durst, der praktische Weg dazu ist der edle achtfache Pfad: rechte Anschauung, rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Überdenken, rechtes Sichversenken. ...
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140 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 74] ... (Buddha bedeutet) der »Erwachte« und besagt damit, daß jemand ... aus der Nacht des Irrtums zum Lichte der Erkenntnis erwacht ist. Das Wesen eines Buddha besteht darin, daß er aus eigener Kraft sein Wissen erlangt hat, dieses also weder durch die Offenbarung eines Gottes noch durch das Studium heiliger Schriften oder durch die Unterweisung eines Lehrers gewann. ...
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141 = [LAMA / Lit. 2, Seite 81] ... Letztlich wenn alle fünf Sinnesorgane (hinsichtlich ihrer Tätigkeit) ruhen und (der) sechste Sinn (d. h. die etwas oberflächlichere Schicht des Bewusstseins) ebenfalls immer feinfühliger wird, tritt der höchste, innerste und subtilste Teil des Geistes in eine Art Vereinigung mit der Leere. ...
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142 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 141] ... Die Geschichte des Buddhismus zeigt, daß eine Heilslehre, welche auf eine farbenprächtige mythologische Einkleidung und auf einen prunkvollen Kultus bewußt verzichtet, stets nur eine aristokratische Weisheitslehre für wenige sein kann. Den religiösen Bedürfnissen der großen Massen kann sie nur im begrenzten Umfange Genüge tun. Der Buddhismus mußte daher diesen entweder dadurch entgegenkommen, daß er den bisherigen Kultus der Religionen, welche vor ihm da waren, bestehen ließ, oder daß er selbst bei sich die Andachtsformen und sakralen Zeremonien einführte. ...
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143 = [LAMA / Lit. 1, Seite 31] ... Wenn die Wissenschaft etwas als nicht-existent erkennt, muß dies auch ein Buddhist zwangsläufig als nicht-existent anerkennen; doch wenn die Wissenschaft etwas nur nicht finden kann, liegen die Dinge ganz anders. Es ist offensichtlich, daß es sehr viel Mysteriöses gibt. Die Menschen können einen bestimmten Bereich wahrnehmen, aber wir können nicht behaupten, daß es nichts gibt, was außerhalb des mit unseren fünf Sinnen Wahrnehmbaren liegt. Wir sehen zum Beispiel heutzutage manches, das unsere Großeltern mit ihren Augen noch nicht wahrnehmen konnten. ...
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144 = [GLASENAPP / Lit. 1, Seite 82 - 83] ... So zerfielen die Anhänger Buddhas von jeher in zwei Gruppen: 1. in die Laien, welche im Rahmen ihrer weltlichen Betätigung und ihres Familienlebens die fünf Gebote: nicht zu morden, nicht zu stehlen, nicht zu lügen, nicht die Ehe zu brechen und nicht berauschende Getränke zu sich zu nehmen beobachteten und 2. in die Mitglieder des »Sangha« (Ordens), ... welche diese Vorschriften in verschärfter Form durch Bewahrung völliger Keuschheit und Armut sowie durch Einhaltung bestimmter asketischer Regeln befolgten. ... Es ist notwendig sich zu vergegenwärtigen, daß dieser Gradualismus zu allen Zeiten ein Grundprinzip des Buddhismus wie aller auf der Wiederverkörperungslehre basierenden Systeme war. ...
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