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Ebene 3 - Thema ausführlich: »Ein Weg der Mitte« |
Erinnern Sie sich noch an die Bemerkung »den Weg der Mitte«
aus Kapitel 1.1? Dies ist der zentrale Ort, an
dem jedes Welthaus stehen sollte. Wo das sein soll? Das wollen wir Ihnen
nun vorstellen. Reisen Sie mit uns an diesen geheimnisvollen Ort [20]
[21].
Von Anfang an habe ich gegenüber den Rangern davon gesprochen, dass wir die goldene Mitte finden müssen, um eine Weltanschauung zu formen, die der Wahrheit möglichst nahe kommt. Sie soll weder nur materialistisch, noch nur vergeistigt sein; weder nur wissenschaftlich, noch nur gläubig begründet. Alle nickten zustimmend und schienen zu wissen, was damit gemeint war. Doch weit gefehlt! Bei einem Treffen wollte ich erfahren, was die Ranger überhaupt mit dem Wort »Mitte« verbinden und ersann dazu folgendes Spiel: Alle Teilnehmer stehen mit verbundenen Augen im Kreis. Auf »Los« soll jeder der Reihe nach spontan einen kurzen Satz sagen, der ihm zum Begriff »Mitte« einfällt. Wird der Satz ohne Zögern gesprochen und stellt er keine Wiederholung dar, darf der Mitspieler einen Schritt in Richtung Kreismittelpunkt tun. Kaum hatte der Erste begonnen, war auch schon der Nächste an der Reihe. Die Ideen sprudelten anfangs nur so aus den Köpfen heraus. Ich konnte kaum schnell genug mitschreiben. Jedesmal, wenn ich O.K. sagte, ging der Spieler einen Schritt vor - und kam der Mitte, und damit den anderen Teilnehmern, immer näher. Bald fiel nicht mehr jedem etwas ein, so dass nicht mehr alle Spieler vorgehen durften. Und dann - ein Aufschrei! - stießen zwei Ranger zusammen. Die Mitte war - zumindest im Sinne dieses Spieles - erreicht. Danach hatten wir Muße, uns die Gedanken, die ich mitgeschrieben hatte, anzuschauen und zu beurteilen. Überlegen Sie doch auch einmal, was Ihnen zu »Mitte« einfällt, bevor Sie weiterlesen. Was bedeutet dieser Ausdruck für Sie? Kommen Sie zu ähnlichen Aussagen wie die Ranger? Hier unsere kleine - sicherlich unvollständige - Sammlung:
Stellen Sie sich einmal ein Rad mit einem Umfang von einem Meter vor. Das Rad ruht auf einem Dorn im Mittelpunkt und dreht sich. Das ganze Rad ist also in Bewegung. Wirklich das ganze? ... Ja und nein. Nehmen wir dazu an, wir sollten die Geschwindigkeit des Rades an verschiedenen Punkten feststellen. Zuerst ermitteln wir eine Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde für einen Punkt auf dem äußeren Rand des Rades. Je näher sich ein Punkt am Mittelpunkt befindet, desto langsamer ist er, da er bei einem immer kleineren Umfang in der gleichen Zeit nur eine entsprechend kürzere Strecke zurücklegt. Ein Zentimeter neben der Mitte beträgt die Geschwindigkeit bloß noch knapp sechs Zentimeter pro Sekunde. Bei einem Millimeter sind es nur noch sechs Millimeter pro Sekunde. Können Sie sich schon denken, was nun folgt? Ist unser wandernder Punkt nun genau in der Mitte, der Abstand also null Meter, so ist seine Geschwindigkeit ebenfalls gleich null - er ruht, obwohl sich das Rad dreht. Dabei ist es völlig egal, wie schnell es sich dreht. Einzige Voraussetzung: Der Punkt darf keine Ausdehnung haben, er muss »nullkommanull« Millimeter klein sein. An dieser Stelle setzte unsere heiße Diskussion ein, da das Ergebnis zwar rechnerisch richtig ist, aber kaum vorstellbar. Falls Sie die folgenden Fragestellungen dazu verwirren sollten, machen Sie sich nichts daraus, wir waren genauso verwirrt! Wie kann sich etwas bewegen und gleichzeitig ruhen? Muss ein
Punkt eine Ausdehnung haben - darf er nicht null sein - um ein sinnvolles
Ergebnis zu erhalten, will sagen: damit sich wirklich jede Stelle
des Rades bewegt? Doch wie groß muss der Punkt mindestens sein -
also auch der Mittelpunkt selbst -, um dies zu erfüllen?
Kann die Null-Bewegung mit der echten Bewegung widerspruchsfrei verbunden
sein? Gehen nicht auch alle Zahlen von der Null aus, von der ruhenden Mitte
aller Zahlen?
Damit nicht genug. Es gab noch eine Reihe weiterer Gedankengänge, die sich um die »Mitte« rankten. So hielten oder halten viele traditionelle Völker ihr Land für die Mitte der Welt. Was soll man dem entgegensetzen, wenn man sich die Oberfläche einer Kugel anschaut? Ist dort nicht jeder Punkt ein Mittelpunkt? Und auch hier gilt die Mitte als Ausgangs- und Endpunkt jeglicher Entfaltung. Werfen wir abschließend einen kurzen Blick auf die Stimmen dreier Denker aus verschiedenen Kulturen. Was bedeutet »Mitte« für sie? Für den Buddhisten ist die »Mitte« eine schöpferische Kraft durch die Versöhnung der Gegensätze [GOVINDA / Lit. 1, Seite 71]: ... Die Welt erscheint uns als ein Spannungsfeld von Polaritäten, die uns zunächst als Gegensätzlichkeiten erscheinen, wie zum Beispiel Licht und Dunkel, Nähe und Ferne, Kälte und Wärme, Lärm und Stille, gut und schlecht, die man nicht einfach wegdiskutieren kann. Auch sollte man das eine nicht durch das andere verdrängen wollen, noch versuchen, die Welt als Ganzes zu dem einen oder anderen Extrem zu bekehren. Vielmehr geht es darum, die schöpferische Mitte in diesem Spannungsfeld zu gewinnen, ... Der Geschichtswissenschaftler sucht die Mitte zwischen den Weltanschauungen [ABOSCH / Lit. 1, Seite 103]: ... Widerlegt wurde die optimistische wie die pessimistische Deutung des Menschen, beide verfehlen die Wahrheit (Anm.: die Mitte): die Optimisten, weil sich ihr idealer Anspruch nicht durchsetzen läßt, die Pessimisten, weil sie (im besten Fall) alles beim Alten lassen und im Grunde von der unveränderlichen Bosheit der Menschengattung überzeugt sind. ... Und für den Lakota-Shamanen ist die Mitte gar die Brücke zum Göttlichen [Zitat HÄCHAKA SSAPA / Lit. 1, Seite 161]: ... Der erste Friede, der wichtigste, ist jener, der in die Seelen der Menschen einzieht, wenn sie ihre Verwandtschaft, ihr Einssein mit dem Weltall und allen seinen Mächten gewahren und inne werden, daß im Mittelpunkt des Weltalls Uakan-Tanka (Anm.: der Große Geist der Lakota) wohnt und diese Mitte tatsächlich überall ist; sie ist in jedem von uns. ... Können Sie nun die Frage beantworten, was Ihre Mitte ist?
Zitate 20=
[ENDE
/ Lit. 1, Seite 125 - 126 / 155] ... »Wo sind die Grenzen (der
Phantasie, des Geistes)?« ... »Im Norden nicht, ... Auch
im Osten nicht, ... Im Süden gibt es keine Grenze, ... Keine Grenze
im Westen,... » / ... Es wäre deshalb zum Beispiel ganz unmöglich,
eine Landkarte (des menschlichen Geistes) zu zeichnen. ... In
dieser Welt gibt es keine meßbare äußere Entfernung, und
so haben die Worte »nah« oder »weit« eine andere
Bedeutung. ... Da (der Geist) grenzenlos ist, kann sein Mittelpunkt
überall sein - oder besser gesagt, er ist von überall her gleich
nah oder fern. Es hängt ganz von demjenigen ab, der zum Mittelpunkt
kommen will. ...
21=
[Zitat Fa Tsang - altchines. taoistischer Philosoph, aus WATTS
/ Seite 64] ... Fa-tsang ..., der sich ein Bild vom Weltall zurechtlegte
als ein multidimensionales Netz von Edelsteinen, von denen jeder alle anderen
ad infinitum widerspiegelte. ... In anderen Worten, der ganze Kosmos drückt
sich in jedem seiner Glieder aus, und jeder Punkt darin darf als sein Mittelpunkt
betrachtet werden. ...
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