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Ebene 3 - Thema ausführlich: »Wer weiß, was morgen sein wird?, -Teil 1-«
Im Kapitel »Die alltägliche Fassbarkeit« [Kap. 1.2] haben wir angekündigt, dass wir unsere Einschätzung, die Zukunft der Welt sei trotz der Vorteile unseres modernen Lebens durch viele ungelöste Probleme ernstlich bedroht, noch belegen müssen. Nun ist der richtige Moment gekommen, um dieses empfindliche Thema aufzugreifen.

Einschätzungen über kommende Entwicklungen abzugeben erfordert sehr viel Einfühlungsvermögen und Vorsicht, denn wie wir es auch drehen und wenden - der Blick in die Zukunft bleibt immer nur eine Vorhersage. Jeder Mensch weiß, wie unzuverlässig beispielsweise die Wettervorhersage ist. Für einige Stunden im Voraus geht die Verlässlichkeit gegen 100 %, aber wenn der Zeitraum weiter in die Zukunft reicht, sinkt die Trefferquote rasant nach unten.
    Einige Naturschützer maßen sich jedoch an, Vorhersagen für die nächsten hundert Jahre zu treffen, und noch dazu für die gesamte Erde... Hat das überhaupt einen Sinn?

Ich habe ein Treffen mit den Cronenberger Rangern darauf verwendet, das Thema »Vorhersagen« zu durchleuchten. Als Diskussionsgrundlage kam uns ein Brief zugute, den der Leiter eines Natur-Ranger-Teams einige Wochen vorher auf ein Rundschreiben von mir verfasst hatte. 
    Dazu folgender Hintergrund:
    Unsere Teams wurden nahezu alle von entschlussfreudigen »Einzelkämpfern« gegründet und nach deren Vorstellungen geführt. Seit wir uns der Heinz SIELMANN Stiftung angeschlossen haben, wird von uns jedoch mehr Gemeinsamkeit gefordert. Schon lange war mir aufgefallen, dass ich eigentlich nur von wenigen Teamleitern wusste, was sie im tiefsten Grunde antrieb, solch zeitaufwendige, ehrenamtliche Arbeit zu machen? Ist ein gemeinsames »Tatmotiv« nicht eine wesentliche Voraussetzung für die Arbeit einer jeden Gruppierung? Ein Leiter, der den Naturschutz als ein Hobby unter vielen betreibt, wird sicherlich ganz andere Vorstellungen haben als jemand, der diese Tätigkeit als Berufung betrachtet. 
    So beschrieb ich allen Teamleitern unaufgefordert meine Ansichten zur Situation der Welt und meine ganz persönlichen Beweggründe; um damit eine Grundsatzdiskussion anzuregen.
    Einer der Empfänger reagierte prompt. Aus seinem Brief sprach ein etwas anderes Weltbild, vor allem aber eine völlig verschiedenartige Auffassung von Vorhersagen über die Zukunft. Seine Zeilen eigneten sich hervorragend für unsere Diskussion! Die Ausgangsfrage lautete: Ist meine eher unheilvolle Annahme nur angstvolle Einbildung oder die zuversichtliche Einstellung unseres Freundes nur Verdrängung und Wunschbild?

Wir begannen das Thema mit der Suche nach allen möglichen Vorhersagen, die wir auf Ihre Gemeinsamkeiten und Abweichungen überprüften. Schnell wurde klar, dass es Vorhersagen jeder Güte für verschieden lange Zeiträume gibt. Bald kamen wir zur Wahrscheinlichkeit von Vorhersagen und formulierten schließlich die folgende Annahme:

Wenn man möglichst viel über vergangene Abläufe gelernt hat, Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge kennt, kann man - wie wir annahmen - Vorhersagen über künftige Ereignisse mit einer ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit treffen. Je länger der Zeitraum und je umfangreicher das vorhergesagte Geschehen ist, und je geringer Wissen und Erfahrung sind, desto unsicherer wird die Einschätzung. Zwangsläufig müssen die Wissens-Lücken von gefühlsmäßigen Einschätzungen und reiner Überzeugung geschlossen werden...

Genau diese Annahme war einer der »Angriffspunkte« aus dem genannten Brief. Wir zitieren:

»... Was bedeutet denn eine Prognose? Nachdem man Daten über ein System gesammelt hat, ... schätzt man die weitere Entwicklung ab. ... Das ist eine Sache des Gefühls. Damit legt jede Untergangs-Prognose im Grunde nur Zeugnis ab, bei einer Entwicklung kein gutes Gefühl zu haben. ... Man fühlt sich machtlos. Ohnmacht aber erzeugt Angst. Wie geht man nun mit dieser Angst um... ?«

Die Ranger waren der Ansicht, dass Gefühle immer eine Rolle spielen, selbst bei den nüchternsten Wissenschaftlern; dafür sind auch sie nur Menschen [3]. Natürlich ist Angst nicht gerade ein Gefühl, das einen »kühlen Kopf« fördert. Der eine versucht sie zu verdrängen, indem er die Gründe für die Angst herunterspielt oder verfälscht, bis sie in seine »heile Welt« passen und belügt sich damit selbst. Der andere untersucht die Gründe seiner Angst, um besser damit umgehen zu können. 
    Doch wer von beiden hat den größeren Nutzen? Der »Verdränger«, der auf diese Weise der Gefahr entgegnet, sein Handeln plötzlich als sinnlos oder schädlich zu empfinden? Oder der »Erforscher«, der vielleicht entdeckt, dass die Angst wirklich begründet ist?
    Ist dieser Ansatz wirklich richtig? Danach müssten auch alle Menschen, die sich ihrer natürlichen Sterblichkeit und der möglichen Leiden des Alters bewusst sind, hoffnungslose, entmutigte Menschen sein. Sterben müssen wir so oder so, ob durch Alter, Krankheit oder »Weltuntergang«... 
    Den Cronenberger Rangern nimmt dieses Wissen jedenfalls nicht den Mut am Leben! 
    Überdies ist auch die düsterste Katastrophen-Vorhersage immer noch so unbestimmt, dass man niemals wissen kann, wann genau und wie stark man selbst betroffen sein wird, selbst wenn sie hieb- und stichfest begründet ist.

Nach einiger Zeit des Diskutierens hegten wir die Vermutung, dass der Verfasser des Briefes mit seiner Beweisführung unbewusst versucht, den »Angriff« auf seine heile Welt abzuwehren. Ließ sich diese Vermutung rechtfertigen? Wir untersuchten den Text weiter.
    In einigen Abschnitten wurden Vorhersagen aus der Vergangenheit angeführt...

»... Der Mensch hat samt Natur seit mehreren tausend Jahren überlebt, und zwar trotz Kriegen, Seuchen und Hungersnöten, ... Auch Naturzerstörung im heutigen Sinn plagt uns inzwischen seit mehreren Jahrhunderten, ... sind es nicht die Römer gewesen, die die deutschen Lande in großem Stil entwaldet haben... ? Von Untergang besteht dennoch keine Spur...«
    und
    »... Der Ökonom MALTHUS hat bei linearem Anstieg der Nahrungsmittel und exponentiellem Bevölkerungswachstum eine weltweite Hungersnot vorausgesagt. ... er hat im 16. Jahrhundert gelebt und sie ist bisher nicht eingetreten. ...«
    und weiter
    »... Seit den Siebzigern, als Weltuntergangsszenarien zur Mode geworden sind, orakeln immer neue Propheten, welche Rohstoffe schon bis Ende der Achtziger oder zur Jahrtausendwende erschöpft sein würden... Nichts von dem ist vorgefallen. ...«

... Bisher nicht, da hat er recht. Dennoch kann man diese Schlussfolgerungen bereits entkräften, ohne umfangreiches Wissen über Umweltzusammenhänge zu haben, wie wir weiter unten zeigen werden. Vorab fiel uns jedoch einmal mehr auf, wie unterschiedlich manche Ausdrücke aufgefasst werden. So zum Beispiel bei dem Wort »Weltuntergang«.
    Ist Untergang »die Vernichtung aller Lebensgrundlagen«? oder »das Aussterben der Menschheit«? oder nur »ein einschneidender Verlust an Lebensqualität?« Bedeutet er »das völlige Ende von lebender Natur«? oder eher »plötzliche Einbrüche im System Erde, denen viele Lebewesen zum Opfer fallen?« Wir möchten den Ausdruck »Untergang« lieber ganz vermeiden, um nicht solcherart Verwirrung zu stiften. (Letzten Endes konnten wir nicht ermitteln, was unser Freund mit »Untergang« meinte und nebenbei bemerkt wollen wir ihm nicht unrecht tun, denn die zitierten Zeilen machten nur den Rahmen seines Briefes aus. Die Kernaussage war durchaus unstrittig und bezog sich auf eine fruchtbare Naturschutzarbeit!)
    Nun denn, unabhängig davon kamen wir zu folgenden Entgegnungen auf die zitierten Zeilen:
 

  • Das Überleben in der Vergangenheit garantiert niemals das Überleben in der Zukunft. Wäre das nicht so, wäre die Lebenserwartung eines Greises ja größer als die eines Säuglings [4]!
  • Die Menschheit bestand nie zuvor aus sechs Milliarden Menschen.
  • Im Vergleich zu einem Menschenleben sind 1.000 Jahre viel, aber in Bezug auf die ganze Erdgeschichte schrumpfen sie zu »Sekunden«. Insofern ist seit den genannten Vorhersagen zu wenig Zeit vergangen, um auszuschließen, dass sie nicht doch noch eintreten können.
  • Rein mathematisch betrachtet müssen sowohl MALTHUS Vorhersage als auch die Berechnungen aus den Siebzigern vom Grundsatz stimmen. Das erdlagernde Naturschätze nicht unbegrenzt reichen können, ist selbstredend.
  • Die Kenntnisse eines Einzelnen, das lückenhafte Wissen und der persönliche Eindruck sind wohl kaum geeignet, um den Schluss zu ziehen: »Ich lebe ohne Probleme, also ist keine Spur von bedrohlichen Veränderungen zu entdecken«.


Die letztgenannte Entgegnung von der Begrenztheit des Wissens trifft natürlich nicht nur auf den Verfasser des Briefes zu, sondern auf alle Menschen!
 
 

Zitate

3 = [GOLDSMITH / Lit. 1, Seite 105] ... Die moderne Wissenschaft hat die Gefühle verbannt. Das ist eine unweigerliche Konsequenz aus der Verfügung, daß wissenschaftliches Wissen objektiv sein muß - eine eitle Verfügung, da der Mensch seinem ganzen Wesen nach nicht in der Lage ist, über objektives Wissen zu verfügen, genausowenig wie er in der Lage ist, seine Gefühle tatsächlich zu unterdrücken. ... / ... Unsere führenden Wissenschaftsphilosophen und unsere nachdenklichsten Wissenschaftler erkennen genau, daß auch die Wissenschaft ein Glaube ist...
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= [GOLDSMITH / Lit. 1, Seite 67] ... »Unsere Lebenserwartung steigt nicht mit der Anzahl der Tage, die wir überlebt haben. Im Gegenteil, es ist viel unwahrscheinlicher, daß die Erfahrung, die nächsten 24 Stunden zu leben, wiederkehrt, nachdem sie 30000 aufeinanderfolgende Male wiedergekehrt ist, als wenn sie nur 1000 mal wiedergekehrt ist. Versuche, ein Pferd darauf zu trainieren, ohne Nahrung auszukommen, werden genau nach der längsten Erfolgsserie scheitern; und die Sicherheit, ein Auditorium mit seinem bevorzugten Witz zu amüsieren, nimmt nicht unbegrenzt mit der Anzahl seiner erfolgreichen Wiederholungen zu.« ...
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