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Ebene 3 - Thema ausführlich: »Indianische Weltanschauungen, Teil 2« |
Was können wir über die Welt wissen?
Im weitesten Sinne gehören die Religionen der amerikanischen Ureinwohner zum Schamanismus, d.h. zu den Naturreligionen, die allen Dingen innewohnende Geister zuschreiben [99] [100] [101]. Zu diesen Geistern kann der Mensch über einen kundigen Mittler zwischen den Welten - einen Schamanen - Kontakt aufnehmen. Dieser Kontakt ist wichtig, um die Mächte der Natur gütig zu stimmen und so das Schicksal des Stammes positiv zu beeinflussen. Die Erschaffung der Welt wird in den Naturreligionen - nicht nur in den nordamerikanischen - in Mythen geschildert, die oftmals erstaunliche Parallelen zur christlichen Schöpfungsgeschichte aufweisen [102]. So ist die Reihenfolge der erschaffenen Dinge und Wesen in der Regel die gleiche, es kommt häufig zu sintflutartigen Katastrophen in der Frühzeit des Menschengeschlechtes und der Schöpfer wird von manchen Stämmen als hochgottähnliches Wesen vorgestellt. Manchmal findet man den Schöpfer auch in Gestalt eines Tieres vor. Überhaupt haben Tiere - wie z.B. das weiße Büffelkalb der Sioux oder die Familientotems* der Nordwestküstenstämme [103] - als Bindeglieder zwischen dem Diesseits und dem Jenseits eine besondere Bedeutung. Traditionelle Indianer betrachteten alle Dinge in der Natur als ihre Verwandten. Pflanzen und Tiere waren Brüder und Schwestern, die Sonne oder der Himmel hatte oft die Rolle eines Vaters und die Erde die einer Mutter [104] [105] [106]. Viele der Vorstellungen, die man bei uns landläufig als die »ewigen Jagdgründe« kennt, ranken sich nicht nur um das Vorhandensein einer jenseitigen Geisterwelt, in der die Ahnen ewig weiter»leben«, sondern auch um die Wiedergeburt der Menschen in Gestalt von Tieren. Bei einigen Stämmen kann man außerdem Vergleiche mit dem Glauben an das Gesetz des Karmas [Kap. 4.3.2 und 4.5.1] aus den fernöstlichen Großreligionen ziehen [107]. Im Gegensatz zu den meisten anderen Naturreligionen glauben viele Indianer an eine allumfassende göttliche Kraft, die jedoch als solche nicht bildhaft und »vermenschlicht« beschrieben wird wie der christliche Gott [108]. Viele Völkerkundler streiten sich darüber, wie man sich diesen Großen Geist vorstellen soll - der z.B. als Manitu (Algonkin), Uakan-Tanka (Sioux), Pokunt (Shoshone), Maheo (Cheyenne), Usen (Apache), Orenda (Irokesen) oder Massau´u (Hopi) bezeichnet wird. Ich habe versucht, einen Mittelweg der verschiedenen Definitionen zu finden: Viele Dinge der Natur werden von Geistern bewohnt, sind demnach beseelt
und lebendig. Sie sind dadurch als sichtbare Teile des »Großen
Geheimnisses« heilig [109].
Das Große Geheimnis selbst liegt im Gesetz des ewigen Werdens und
Seins, das dem Universum
innewohnt - es ist der Urgrund der Existenz, die Urkraft, die in allen
Dingen, Lebewesen und Geschehnissen wirkt. Diese Kraft ist nicht in
der Welt, sondern die Welt ist in ihr eingebettet. Auf diese
Weise steht sie unabhängig von jeder Auswirkung und unbegrenzt über
allen Dingen und Wesen.
Ist der Mensch gut oder böse?
Können wir unser Handeln frei bestimmen?
Können wir die Welt oder die Menschen ändern?
Wenn ja: Wie können wir etwas verändern?
Gibt es eine richtige Art zu leben?
Was können wir über die Zukunft wissen?
Kritische Fragen
Doch unsere Weltreise ist noch lange nicht zu Ende. Wir machen uns nun auf den beschwerlichen Weg zu den »Heiden des 21. Jahrhunderts«, die ebenfalls im Land der Geisterreligionen wohnen. Die Indianer wiesen uns den Weg zum »New Age Clan«, deren Mitglieder hin und wieder zu Besuch kamen, um mit ihnen zu philosophieren. *) =
Wappentiere, die zum einen die Zugehörigkeit zu einem Clan zeigten
und die zum anderen auf den jeweiligen Tier-Schutzgeist hinwiesen
Zitate 99 = [Zitat
Wladimir SANGHI,
aus LUDWIG
/ Seite 165] ... In jedem lebendigen Wesen wohnt ein kleiner Gott. Und
weil wir alles, was lebt, anbeten, könne wir auch nicht rücksichtslos
mit dem umgehen, was uns die Natur gegeben hat. ...
100 = [Zitat
Cesspooch, aus LUDWIG
/ Seite 196 - 197] (Indianisches Gedicht) ... Lebender Fels: Ich
sah einen Stein, ... Ich lebe das Leben der Felsen. Ich bin ein Teil der
Erdmutter. ... Ich bin ein Teil uns' res Vaters, des großen Geheimnisses.
... Ich bin ein Verwandter der Sterne. Ich spreche, wenn du zu mir sprichst.
... unser Fühlen ist eins. Ich bin gefüllt mit heilender Kraft,
... Du denkst ich sei ein Felsen, welcher liegt in der Stille, ... Doch
das bin ich nicht, sondern Stück allen Lebens. Ich bin lebendig, denen,
die denken. ...
101 = [Zitat
Ailo Gaup - samischer Dichter, aus LUDWIG
/ Seite 195] (Samisches Gedicht) ... Das Wort: Flüstere zu
den Felsen, in dem versteckten lauscht etwas, nimmt das Wort entgegen,
führt es weiter und vollendet es. ...
102 = [Zitat
J. Campbell, aus LEAKEY
/ Seite 308] ... Es ist wirklich interessant, daß alle menschlichen
Gesellschaften das Bedürfnis verspürten, ein mythisches System
hervorzubringen, eine Erklärung dafür, wie die jeweilige Gesellschaft
entstanden ist und welchen Platz sie in der Welt einnimmt. Und noch interessanter
sind die vielen Übereinstimmungen zwischen den Mythologien. »(Dies)
zwingt uns dazu, die Kulturgeschichte der Menschheit als Einheit zu betrachten«,
beobachtete Campbell. »Wie sich herausstellt, findet man Themen wie
den Raub des Feuers, Sintflut, Totenreich, Jungfrauengeburt und Wiederauferstehung
überall auf der Erde - sie tauchen immer wieder in anderen Kombinationen
auf, aber in Wirklichkeit sind es, ... stets die gleichen wenigen Elemente.
...
103 = [SCHWEER
/ Lit. 2, Seite 22] ... Das Totemtier wird nicht im biologischen Sinne
aufgefaßt, sondern im mythologischen. Die Erzählungen von Totemtieren
sollen die mythische Verbindung und den gemeinsamen Ursprung von Mensch
und Tier veranschaulichen, sie sind keine irrationale Gleichsetzung von
beiden. Es käme ja auch in Europa niemand auf die Idee, aus dem hier
vorhandenen Märchen- und Mythenschatz zu schließen, wir würden
ernsthaft glauben, daß ein Tier sich in einem Menschen verwandeln
könne. ...
104 = [OTH
/ Lit. 1, Seite 150] ... Sie schonen die ihnen heilige Natur und waren
die ersten »Umweltschützer« der Geschichte. Sie betrachteten
sich nämlich nur als einen winzigen Teil der Mutter Erde und fühlten
sich der Tier- und Pflanzenwelt verpflichtet. Da jede Kreatur, jeder Strauch,
jede Quelle, jeder Grashalm von Manitu durchgeistigt war, durften sie sich
nicht an der natürlichen Ordnung versündigen. Somit unterschied
sich ihr Weltbild grundsätzlich von dem unsrigen. ...
105 = [HIRSCH
/ Lit. 1, Seite 24 / 33 / 43 / 47] ... »Unser Altvater Uakan-Tanka,
Du bist alles und doch über allem! Du bist der Anfang. Du warst seit
Ewigkeit. ... / ... Alles, was sich bewegt, und alles, was ist, will eine
Stimme zu Uakan-Tanka schicken. ... / ... »Du, o Seele, bist die
Hokschitschankiya, der Ursame. ... Altvater und Vater Uakan-Tanka, und
Altmutter und Mutter Maka, die Erde. Denke an diese vier Verwandten, die
in Wirklichkeit alle Einer sind, ... / ... Uakan-Tanka ..., der ewig fließt
und Seine Macht und Sein Leben allem mitteilt...
106 = [aus
LUDWIG
/ Seite 102] »Laguna Pueblo« - Wiegenlied: Die Erde ist deine
Mutter, sie hält dich. Der Himmel ist dein Vater, er beschützt
dich, schlaf, schlaf, Regenbogen ist deine Schwester, sie liebt dich. Die
Winde sind deine Brüder, sie singen dir zu. Schlaf, schlaf. Wir sind
immer beisammen. Wir sind immer beisammen. Es gab nie ei ne Zeit, wo dies,
nicht so war. ...
107 = [HIRSCH
/ Lit. 1, Seite 21 / 27 / 227 / 230] ... Beim Zurückhalten einer Seele
... wird die Seele so geläutert, daß sie und der Geist eins
werden: damit wird sie fähig, zu der »Stelle«, wo sie
geboren wurde - zu Uakan Tanka -,zurückzukehren und braucht nicht
über die Erde zu wandern, wie die Seelen schlechter Leute es tun müssen;
... / ... und daß kein Zank und Hader stattfindet; immer muß
in dieser Wohnung (Anm.: des Verstorbenen) Eintracht herrschen,
denn alle Dinge haben einen Einfluß auf die Seele... / Das Herz ist
das Heiligtum, in dessen Mitte sich ein kleiner Raum befindet, wo der Große
Geist wohnt... Wenn das Herz nicht rein ist, dann kann der Große
Geist nicht geschaut werden, und solltet ihr in dieser Unwissenheit sterben,
so kann eure Seele nicht sogleich zu Ihm zurückkehren, sondern muß
durch Irrfahrten in der Welt gereinigt werden. ... / ... »Jeder Mann«,...
»der an die Sinne und die Dinge dieser Welt gebunden ist und deshalb
in Unwissenheit dahinlebt, wird von Schlangen aufgezehrt - von seinen eigenen
Leidenschaften.« ...
108 = [OTH
/ Lit. 1, Seite 150] ... Die Indianer waren vom Glauben an eine allmächtige
... Lebenskraft durchdrungen, die sich ihnen überall in der Natur
offenbarte. ... Die Weißen bezeichneten sie mit dem Ausdruck »Großer
Geist« ...
(doch) Der Gottesbegriff des Roten Mannes hatte
wirklich nichts mit dem ... christlichen Schöpfer gemein. ... das
»Große Geheimnis« war Ursprung und Quelle jeder Kraft
und »beseelte« alle Geschöpfe und Gegenstände...
(Die
Indianer) glaubten, die Welt sei geheimnisvoll in ... (ihm)
eingebettet, so daß
(es) in allen Dingen wirke, ohne aber
selbst »in der Welt« zu sein. ...
109 = [Zitat
OHIYESA,
aus MCLUHAN
/ Seite 42] ... Im Leben des Indianers gab es nur eine unumgängliche
Pflicht - die Achtung vor dem Unsichtbaren und Ewigen. Dieser Achtung Ausdruck
zu verleihen war jedem Indianer wichtiger als die tägliche Nahrung.
Er erwacht bei Tagesanbruch, zieht seine Mokassins an und schreitet an
den Rand des Wassers hinab. Er wirft sich Händevoll klaren, kalten
Wassers ins Gesicht oder taucht seinen ganzen Körper ein. Nach dem
Bad steht er aufrecht in der ersten Morgenröte, mit dem Gesicht zur
aufgehenden Sonne, und bringt ein stummes Gebet dar. ... Wann immer der
rote Jäger bei seiner täglichen Jagd etwas erblickt, das eindrucksvoll
und erhaben ist - eine schwarze Gewitterwolke mit einem leuchtenden Rund
des Regenbogens über dem Berg oder einen weißen Wasserfall im
Herzen einer grünen Schlucht oder die weite, von einem blutroten Sonnenuntergang
überhauchte Prärie -,verharrt er einen Augenblick in andächtiger
Haltung. Er hält es nicht für notwendig, einen von sieben Tagen
zu heiligen, denn er weiß, daß Gott jeden Tag für ihn
gemacht hat, wenn er versteht, die Natur zu achten. ...
110 = [Zitat
HÄCHAKA
SSAPA, aus KRONFLI
/ Seite 14] »... Alles ist heilig, vergesst das nicht. Jeder Sonnenaufgang
ist ein heiliges Geschehen; jeder Tag ist heilig, da das Licht von eurem
Vater, dem Großen Geheimnis kommt; auch müsst ihr daran denken,
dass die Zweibeiner und alle anderen Völker, die auf dieser Erde stehen,
heilig sind und demgemäß behandelt werden sollen.«
111 = [Zitat
Joseph E. Brown - am. Religionswissenschaftler, aus HIRSCH-1
/ Seite 231] ... Uakan-Tanka als »Altvater« ist der Große
Geist, unabhängig von jeglicher Auswirkung, eigenschaftslos, unbegrenzt,
also das Unbedingte, gleich der christlichen Gottesnatur oder dem hinduistischen
Brahma-Nirguna. ...
112 = [GOLDSMITH
/ Lit. 1, Seite 400] ... Weil der chtonische Mensch (Anm.: Mitglied
eines erdverbundenen Volkes) keine Unterscheidung zwischen sich und
anderen Tieren machte, gab es in seiner Ordnung der Dinge keinen Grund,
zwischen sich selbst und seinen Göttern und den sie verkörpernden
Tieren und Geistern zu unterscheiden, denn alle waren Teil desselben Kosmos.
...
113 = [Zitat
HÄCHAKA
SSAPA, / Lit. 1, Seite 10] ... Wir sollten verstehen, daß alles
das Werk des Großen Geistes ist. Wir sollten wissen, daß er
in allen Dingen ist: in den Bäumen, den Gräsern, den Flüssen,
den Bergen und all den vierbeinigen Tieren und den geflügelten Völkern;
und was noch wichtiger ist: wir sollten verstehen, daß Er auch über
all diesen Dingen und Wesen ist. Wenn wir all das tief in unsern Herzen
erfassen, dann werden wir den Großen Geist fürchten, lieben
und kennen; und dann werden wir uns bemühen, so zu sein, so zu handeln
und zu leben, wie Er es will.
114 = [Zitat D.H. Lawrence - engl. Schriftsteller, aus GOLDSMITH / Seite 390] »... In der ältesten Religion war alles lebendig, nicht übernatürlich, sondern natürlich belebt. ... Denn das ganze Bemühen des menschlichen Lebens besteht darin, sein Leben in direkten Kontakt mit dem elementaren Leben des Kosmos zu bringen, mit dem Leben der Berge, dem Leben der Wolken, dem Leben des Donners ... (u.s.w), in unmittelbar spürbaren Kontakt zu kommen, und so Energie, Kraft und eine dunkle Art von Vergnügen zu schöpfen. Dieses Bemühen um bloßen, nackten Kontakt ohne ein Zwischenglied oder einen Vermittler ist die ursprüngliche Bedeutung von Religion.« ... 115 = [Zitat TEKARONTAKE, aus KRONFLI / Seite 71] ... Wenn wir heute feststellen, dass viele Dinge aus dem Lot geraten sind, sollten alle Menschen sich daran erinnern. Denn es sind nicht die Tiere und anderen Lebewesen, die das Wasser verseuchen; es sind nicht die Sonne und der Mond, die die Luft verschmutzen; es sind nicht die Sterne, die das Land zerstören. ... Es ist unser aller Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren, damit sich auch die, die nach uns kommen, an ihr erfreuen können. Es liegt an jedem Einzelnen selbst, die Menschen daran zu erinnern, was ihre eigentliche Aufgabe ist. ... 116 = [Zitat Bill Erasmus - kan. Dene-Häuptling, aus SEIWERT / Seite 78] ... «Das Land ist stärker als alle Menschen. Es sagt uns, was wir tun müssen. Zum Beispiel müssen wir unsere Kleidung dem Wetter anpassen. Das zeigt, wie klein wir sind. Wir stehen in der Kette der Evolution ganz unten. Da war das All, waren die Geister, die Tiere und Pflanzen, und dann erst kam der Mensch. Wir stehen ganz unten. Die Weißen wollen das oft umdrehen und sagen, der Mensch stünde ganz oben. Es ist gefährlich, so zu reden.« ... 117 = [SUN BEAR / Lit. 1, Seite 105] ... Die ganze Schöpfung, die uns umgibt, ist mit Intelligenz begabt -Tiere, Pflanzen-, und dieser andere Teil der Schöpfung nimmt sehr viel aufmerksamer die Veränderung auf der Erde wahr, als es die meisten Menschen tun. Diese anderen Geschwister des Menschen können Dinge schon vorher fühlen. Die Wale senden uns zum Beispiel sehr oft Warnungen. Sie versuchen uns zu vermitteln, das die Welt aus den Fugen geraten ist und wir das Gleichgewicht verloren haben. Aber der Hochmut der Menschen ist groß, er verführt sie, die Natur und die Tierwelt als sprachlose Welt zu verachten. Diese Haltung ist der eigentliche Grund, warum wir keine Bindung zur Natur herstellen können. Wir sind so stark von unserem Vorurteil gegenüber der anderen Schöpfung geprägt. Und so entgeht uns lebenswichtiges Wissen. ... 118 = [Zitat Blackfeet-Häuptling, aus MCLUHAN / Seite 59] ... Unser Land ist wertvoller als euer Geld. Dieser Boden wir immer bestehen. ... Wir können nicht das Leben von Menschen und Tieren verkaufen, deshalb können wir dieses Land nicht verkaufen. Der Große Geist hat es hier hingebreitet, und wir können es nicht verkaufen, weil es uns nicht gehört. ... 119 = [GOLDSMITH / Lit. 1, Seite 71 - 72] ... Das kulturelle Modell einer traditionellen Gesellschaft ist ... in der Sprache der Moral formuliert, weil ihre grundlegenden Instruktionen von moralischer Natur sind. ... |